Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)
Ich spreche mit Albert. Ich werde ihn schon überzeugen. Sie können Ihr Mädchen behalten. Ein Geschenk von mir an Sie, als Wiedergutmachung – was immer ich getan haben mag, das Sie so gegen mich aufgebracht hat«, sagt er, und seine Augen glitzern wild. Seine Hand ruht noch einen Augenblick länger auf ihrer Haut. Seine Finger sind warm und feucht von ihren eigenen salzigen Tränen. Sie scheinen sie zu verbrennen, nur diese leichte Berührung hält sie gefangen wie eine eiserne Fessel, sodass sie sich nicht von der Stelle rühren kann. Dann ist er fort, er geht über den Flur und klopft leise an die Tür des Studierzimmers. Endlich befreit, schnappt Hester nach Luft und flieht mit blinden, unsicheren Schritten aus dem Raum.
Mrs. Bell öffnet sämtliche Körbe, wenn Mrs. Lynchcombe die Wäsche zurückbringt, nimmt jedes Stück einzeln heraus und hakt es auf der Liste ab. Dabei kneift sie die Augen zusammen, weil sie ihre eigene eng gedrängte Schrift offenbar nur mühsam entziffern kann.
»Das sollten sechs Kopfkissenbezüge sein – habe ich sechs gezählt?« Solche und ähnliche Kommentare brummt sie dabei vor sich hin. Cat hat diesen Prozess schon viele Male beobachtet und weiß, dass sie diese Bemerkungen ruhig ignorieren kann. Mrs. Bell scheint zwar eine recht enge und freundschaftliche Beziehung zu der Waschfrau zu pflegen, ist aber offenbar dennoch davon überzeugt, dass die Frau eines Tages zur Diebin werden und den Haushalt um eine Serviette oder ein Nachtgewand bringen wird. Sie hätte keine Ruhe, wenn sie den Inhalt der Körbe nicht jedes Mal persönlich überprüfen würde. Sie bläst die Wangen auf, wischt sich die schweißfeuchte Stirn, stemmt die Hände auf die gewaltigen Hüften und mustert eine Bluse mit Spitzenkragen, die gebügelt und säuberlich gefaltet vor ihr liegt. Ist das die Bluse, die sie zum Waschen gegeben haben? Oder wurde sie etwa gegen ein anderes Stück minderer Qualität vertauscht?
»Ihr Misstrauen muss Sie völlig erschöpfen«, bemerkt Cat.
»Wie bitte? Nuschele nicht so hinter meinem Rücken herum«, brummt Mrs. Bell.
»Ich habe nur angemerkt, wie löblich ich Ihre Gründlichkeit finde.« Cat lächelt. Mrs. Bell lacht bellend auf.
»Ha! Nie im Leben hast du das gesagt!« Sie wendet sich wieder ihrer Inspektion der Wäschekörbe zu. Cat zuckt mit den Schultern. Sie bricht gerade das Salz, das als großer, harter Block geliefert wird. Der Holzgriff des runden Pickels, den sie dazu benutzt, ist so glatt, dass sich ihre Hand verkrampft, weil sie ihn so fest umklammern muss. Die Muskeln in ihrem Unterarm brennen. Immer wieder sticht sie auf den Block ein, in genau dem richtigen Winkel, damit kleine, brauchbare Bröckchen abspringen – keine großen Stücke, die noch einmal zerbrochen werden müssten, und keine kleinen Krümel, die sie dann nur mühsam von der Arbeitsplatte abkratzen könnte. Die Stücke von der richtigen Größe werden in irdene Töpfchen gesteckt und luftdicht darin aufbewahrt, bis man sie braucht. Bei Bedarf werden sie von Hand gemahlen und in das silberne Salzfässchen gefüllt. Das energische Zustechen, die kontrollierte Brutalität dieser Aufgabe hat etwas Befriedigendes. Aber man muss präzise arbeiten – Stöße mit der richtigen Kraft und Geschwindigkeit, immer und immer wieder. Cats Kopf wird dabei klarer, und ein wenig von der seltsamen, kalten Wut, die sie schon den ganzen Vormittag erfüllt, löst sich auf. Das ist wahrhaftig eine merkwürdige Wut, hart und beinahe betäubend. Cat weiß kaum, gegen wen sie sich eigentlich richtet. Ist sie wütend auf den Pfarrer, weil er sie gesehen hat? Auf den Theosophen, weil er den Pfarrer zu seinem Kreuzzug angestachelt hat? Auf Hester, die ihr verbieten will, das Haus je wieder zu verlassen? Auf George, weil er darauf besteht, dass sie ihn heiratet? Oder ist sie nur wütend, weil ihr Geheimnis entdeckt wurde? Denn jetzt hat sie kein Geheimnis mehr: Das Einzige auf der Welt, das ihr allein gehörte, ist ihr genommen. Sie sticht zu, zerstößt den Block, ihre Muskeln schmerzen, und sie wird ruhiger. Cat schlüpft aus den Schuhen und presst die brennenden Füße gegen die kühlen Bodenfliesen.
»Wahrscheinlich gehe ich bald weg von hier. Vielleicht schon heute Nacht«, sagt sie schließlich, und es klingt kein bisschen bekümmert.
»Wovon redest du?«, fragt Sophie Bell, die ihre Inspektion beendet hat und auf einen Stuhl sinkt. Mit dem Arm schiebt sie einen Haufen Erbsen beiseite, die noch gepult werden
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