Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)
nie. Ihr Haar hängt kraftlos herab und ist im trüben Licht, das zum Fenster hereinfällt, völlig ohne Glanz. Ich bin wahrhaft ein fades Geschöpf, denkt sie. Kein Wunder, dass Albert seine Feen vorzieht – und seinen schönen Theosophen. Die Puderquaste zittert leicht, und feiner, heller Staub rieselt auf die Mahagoniplatte des Toilettentischs hinab.
Robins Schritte auf der Treppe lassen ihren Herzschlag stolpern. Sein Gang ist so unverkennbar – er gibt sich nicht die geringste Mühe, dezent aufzutreten, leise zu sein. Er trampelt herum wie ein gedankenloses Kind … aber nein. Hester kann ihn nicht mehr als kindlich betrachten, ganz gleich, wie zerzaust sein Haar auch sein mag, wie schelmisch sein Grinsen. Respektvoll klopft er an die Tür. Sie antwortet nicht.
»Hester? Mrs. Canning?«, ruft er. Sie hört das höhnische Vergnügen, mit dem er zwischen diesen beiden Anreden hin und her wechselt, als könnte er ganz nach Lust und Laune wählen, welche er gebraucht, ohne sich darum zu scheren, was angemessen ist und was nicht. »Hetty? Ich habe gute Neuigkeiten«, sagt er. Obwohl das Blut in ihren Ohren rauscht, antwortet sie ihm noch immer nicht. Im Spiegel sieht sie ihre verkniffenen Lippen einen grimmigen Strich bilden, der sie noch unansehnlicher macht. Eine längere Pause entsteht, dann sagt er: »Albert ist einverstanden, Cat zu behalten. Na, heitert Sie das ein wenig auf? Er hat zwar einige Bedingungen gestellt, die ihr nicht gefallen werden, aber ich habe mein Bestes getan. Zumindest wird sie nicht mittellos auf die Straße gesetzt. Hester? Wollen Sie mir denn nicht danken?«, fragt er. Nein! , schreit sie stumm, denn auf einmal ist sie sicher, dass er das einzig und allein getan hat, weil es seinen eigenen Interessen dient. »Na schön. Vielleicht schlafen Sie ja. Vielleicht schmollen Sie auch. Jedenfalls sehen wir uns zum Abendessen, Mrs. Canning , und dank meiner Intervention wird ein Dienstmädchen da sein, das es uns serviert.«
Seine Schritte bewegen sich gemächlich davon und die Treppe hinunter, und Hester beginnt wieder freier zu atmen. Sie versucht, Erleichterung darüber zu empfinden, dass Cat nicht gehen muss. Doch selbst das beunruhigt sie, weil er dafür gesorgt hat und behauptet, es für sie getan zu haben. Ihr Kopf tut weh, als läge ein eisernes Band fest um ihren Schädel. Langsam steht sie auf und legt sich aufs Bett. Eigentlich wollte sie nachdenken, planen, doch ihr Geist ist gleichzeitig leer und übervoll, und sie kann ihren Gedanken nicht mehr folgen. Weder ihre eigene Lebenserfahrung noch ihre Erziehung haben irgendeine Antwort auf die Frage, wie sie sich in dieser absurden Situation verhalten sollte. Schlafen kann sie auch nicht. Also liegt sie nur da und blickt voll Grauen dem Abendessen entgegen.
Vor dem Essen, in einer entscheidenden Phase der Zubereitung, wird Mrs. Bell unter Protest nach oben zitiert, weil der Pfarrer und seine Frau sie zu sprechen wünschen.
»Pass ja auf die Pasteten auf, Cat – nur noch fünf Minuten, bis die Kruste schön braun ist, länger nicht«, sagt sie, ehe sie aus der Küche watschelt. Cat starrt unablässig auf die Tür, durch welche die dicke Haushälterin verschwunden ist, und versucht zu erraten, was das bedeuten könnte. Das ganze Haus steht unter Anspannung wie eine zu straff gespannte Feder. Vielleicht liegt es nur an der Hitze, vielleicht aber auch nicht. Cat passt auf die Pasteten auf, schrubbt die Karotten in einem Eimer Wasser und holt Sahne für das Dessert aus dem Brunnen. Als sie wieder in die Küche kommt, ist auch Mrs. Bell zurück. Sie weicht Cats Blick aus und faucht: »Das geht dich nichts an!«, als Cat fragt, weshalb sie nach oben gerufen wurde.
Erst eine Weile später richtet sie wieder das Wort an Cat. »Du sollst das Essen auf die Anrichte stellen, wenn du es hinaufbringst. Serviere nicht am Tisch – sie werden sich selbst auftun. Der Pfarrer will dich nicht in seiner Nähe haben«, sagt sie, und ihre Stimme klingt schwer vor Missbilligung, als sie diese Anordnung wiedergibt.
»Was glaubt er denn – dass ich ihn mit irgendetwas anstecken könnte?«, fragt Cat ungläubig.
»Woher soll ich wissen, was der Mann denkt? Tu einfach, was er sagt, und sei froh, dass du noch hier bist!«, erwidert Mrs. Bell.
Also serviert Cat das Abendessen mit einem Gefühl zornigen Argwohns, von dem ihre Hände ganz ungeschickt werden. Sie funkelt die drei am Tisch an, jedes Mal, wenn sie einen weiteren Gang auf der Anrichte abstellt,
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