Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
Vom Netzwerk:
wenig an einen Kreisel.
    »Ah, Cat.« Hester lächelt. »Wärst du wohl so gut, diesen Brief zum Postamt zu bringen und für mich aufzugeben. Danke, mein Kind. Und vielleicht ein paar Madeleines zum Tee? Der Bäcker am Broadway ist ganz ausgezeichnet. Das wird Mrs. Bell nicht gefallen, aber solange sie keinen guten Sandteig rühren kann, bleibt mir ja nichts anderes übrig!« Hester lacht ein wenig. Cat nimmt den Brief und die Münzen, die Hester ihr hinhält. Sie findet es grässlich, Kind genannt zu werden von einer Frau, die nur ein paar Jahre älter ist als sie.
    »Jawohl, Madam«, sagt sie leise. Hesters Lächeln welkt ein wenig. Cat fällt auf, dass der Blick der Frau an ihr vorbei und um sie herum huscht, und immer wieder hinab zu dem Brief. Als fürchte sie sich davor, ihrem neuen Dienstmädchen in die Augen zu schauen.
    »Du kennst den Weg nach Thatcham, ja?«, fragt Hester.
    »Nein, Madam«, gesteht Cat. Sie hat gar nicht daran gedacht, sich danach zu erkundigen, und wäre fröhlich ohne Wegbeschreibung losmarschiert.
    »Nun, an einem schönen Tag wie heute nimmst du am besten den Fußweg gegenüber – da ist ein Tritt über den Zaun – und folgst ihm zum Steg über den Fluss und weiter, bis du den Kanal erreichst, das sind knapp zehn Minuten. Wende dich nach links und folge dem Treidelpfad gut drei Kilometer lang, dann kommst du nach Thatcham. Ein reizender kleiner Ort. Du kannst dir gern ein wenig Zeit lassen und dich dort umsehen. Es wird dir später nützlich sein, wenn du mit der Lage der Fleischer und anderer Geschäfte vertraut bist«, erklärt Hester. Der Gedanke an diesen Ausflug heitert Cat auf.
    »Danke sehr, Madam«, sagt sie mit mehr Gefühl in der Stimme, und Hesters Lächeln wird breiter.
    Durch kein Korsett behindert, schwingt Cat sich mit Leichtigkeit über den Zauntritt und spaziert den Pfad über die Weide entlang. Sie weicht Kuhfladen aus und erspürt den seltsamen neuen Boden unter ihren Füßen. Sie ist noch nie über so hohes Gras gelaufen, auf so natürlichem, unbearbeitetem Untergrund. In London gab es zwar Rasen im Garten, aber Dienstboten durften ihn nicht betreten. Der Gentleman nahm es in dieser Hinsicht recht genau – es gab Wege, an die man sich zu halten hatte, aus säuberlich verlegten Steinplatten oder ordentlich geharktem Kies, gesäumt von niedrigen Buchshecken. Hier hingegen wachsen langes, wildes Gras und viele andere Pflanzen, die sie noch nie gesehen hat. Wildblumen, ganz kleine mit Blüten in der Farbe des Sommerhimmels und violette, gelbe, spitze weiße Blütenwölkchen von Pflanzen, die sie nicht benennen kann. Im hellen Sonnenschein dringt die Wärme durch ihre Haut und vertreibt die hartnäckige Kälte der Gefängniszelle. Cat trägt Hesters Brief und die Münzen für das Gebäck in einem kleinen Beutel an einer Schnur, den Mrs. Bell ihr widerwillig geliehen hat. Sie lässt ihn zwischen den Fingern baumeln, schwingt ihn vor und zurück und wirbelt ihn herum, sodass er durch die Luft pfeift.
    Der Kanal ist eine breite, träge Rinne aus trübem Wasser, beidseitig bedrängt von den ausladenden Zweigen der Trauerweiden. Junge Holunderzweige neigen sich über das gegenüberliegende Ufer und blühen mit würziger Begeisterung. Wolken von Mücken tanzen über der Wasseroberfläche, und bald schwirren sie Cat vor dem Gesicht herum und stechen sie in die Handrücken. Cat erreicht den Treidelpfad und schaut nach rechts. Bis nach London führt dieser Weg. Sie könnte ihm folgen, weiterlaufen, bis ihre Füße wund und blutig wären. Wie lange sie wohl brauchen würde? Sie hat keine Ahnung. Und was sollte sie in London tun? Sie ist nirgendwo mehr zu Hause. Aber sie könnte nach Tess suchen. Sich vergewissern, dass es ihr gut geht, und sie mit hierhernehmen an diesen fremdartigen Ort, so grün und still und anders. Doch Cat wendet sich nach links und geht langsam weiter, schlägt nach den Mücken und weicht den Hinterlassenschaften der Zugpferde aus.
    Bald kommen Gebäude in Sicht. Speicher, kleine Werften. Sie kommt an zwei Schleusen vorbei und beobachtet, fasziniert von dem Mechanismus, wie ein Boot eine davon passiert. Wasser schießt schäumend zwischen den nassen Balken hindurch und verbreitet Wolken starker Gerüche: feucht, ein wenig faulig und irgendwie lebendig. Die Brise kräuselt die Oberfläche, sodass das Wasser zu fließen scheint. Cat hebt ein Stöckchen auf, um herauszufinden, ob es sich tatsächlich bewegt. Als sie es ins Wasser wirft, löst sich der Beutel

Weitere Kostenlose Bücher