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Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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ertappt sich immer wieder dabei, wie sie innehält an den Fenstern, die sie eigentlich putzen sollte, und ihr Blick weich wird, wenn er in diese neue, stille Ferne schweift. Und ihr Körper braucht diese Pausen so dringend wie nie zuvor. Sie hat immer gearbeitet, seit sie zwölf Jahre alt war, und ihre Muskeln sind dabei hart und stark geworden. Aber Holloway hat sie so geschwächt, dass ihre Beine zittern, wenn sie vom Keller zum Dachboden hinaufsteigt.
    Sie frühstückt mit Mrs. Bell an dem großen Holztisch in der Küche. Der Stuhl der Köchin knarzt Unheil verkündend, wenn er unter ihrer Masse beinahe verschwindet. Nur noch spindeldürre hölzerne Beinchen sind zu sehen, die über den Steinboden schrammen und unter ihrer Last wackeln. Eines Tages werden sie brechen, denkt Cat. Dann wird sie sich das Lachen nicht verkneifen können. Sie malt sich die Szene aus – Mrs. Bell, die zappelnd auf dem Boden liegt, hilflos wie ein Käfer auf dem Rücken.
    »Was gibt’s da zu grinsen?«, fragt Mrs. Bell argwöhnisch.
    »Ich habe mir vorgestellt, wie Sie auf dem Boden landen würden, wenn Ihr Stuhl zusammenbricht«, antwortet Cat aufrichtig.
    »Oh, du freches Luder!«, keucht Mrs. Bell und starrt sie an, ausnahmsweise einmal mit aufgerissenen Augen. Aber anscheinend fällt ihr keine weitere Erwiderung ein, also widmet Cat sich wieder ihrem Haferbrei. Sie muss sich beim Essen konzentrieren, auf eine seltsame Art. Sie muss sich darauf konzentrieren, sich nicht zu sehr bewusst zu sein, dass sie isst. Wenn sie es zu deutlich wahrnimmt – den Geschmack, die Konsistenz, das kurze, erstickende Gefühl beim Schlucken –, dann steigt Panik in ihr auf, und es geht nicht mehr.
    »Ich habe mich gerade gefragt, weswegen sie dich wohl weggesperrt haben«, bringt Mrs. Bell schließlich hervor. »Wahrscheinlich wegen irgendeiner Dreistigkeit, wo du hübsch den Mund hättest halten sollen! Wem hast du denn Widerworte gegeben?«, fragt sie und bemüht sich, zornig zu klingen, doch die Neugier in ihrer Stimme kann sie nicht verhehlen.
    Aber Cat kann nicht antworten. Als Mrs. Bell das Gefängnis erwähnt hat, hat sich ihre Kehle zugeschnürt, und der Haferbrei in ihrem Mund kommt nicht mehr weiter. Cat spürt, wie er sie fast erstickt und hinten in ihrer Kehle klebt. Sie stürzt zum Spülbecken, hustet und würgt den Brei hervor.
    »Bei allen Heiligen! Was ist denn nur mit dir los?«, ruft Mrs. Bell aus, der das Blut fleckig in die Wangen steigt. »Kein Wunder, dass du dünn bist wie ein Spatz! Davon wird die Herrin erfahren.«
    »Sie spart doch noch dabei, wenn ich nichts esse«, japst Cat und wischt sich mit dem Handrücken das Kinn. Mrs. Bell brummt missmutig, und Cat kehrt an den Tisch zurück und schiebt die Schale Haferbrei von sich.
    »Hier wird nichts verschwendet! Gib mir die Schüssel«, sagt Mrs. Bell und fährt mit dem Löffel hinein. Wieder wirft sie Cat einen raschen Blick zu. »Was trägst du da für eine Nadel?« Sie zeigt mit dem Finger auf das kleine Fallgitter in Silber und Emaille, das an Cats Kragen geheftet ist.
    »Meine Holloway-Medaille. Meine Freundinnen haben sie mir geschenkt, als Zeichen, dass ich für unsere Sache im Zuchthaus war«, erklärt Cat. Unwillkürlich hebt sie die Hand und streicht mit den Fingern darüber.
    »Das ist doch nichts, worauf man stolz sein kann«, tadelt die Haushälterin sie scharf.
    »Da irren Sie sich.«
    »Du solltest sie jedenfalls nicht so offen tragen. Unter deiner Kleidung, wenn’s denn sein muss, aber ich will das Ding nicht wieder sehen«, ordnet Mrs. Bell mit einem knappen Recken des Kinns an. Cat blickt finster drein, tut aber, was ihr befohlen wurde.
    Nach dem Mittagessen wird Cat ins Wohnzimmer gerufen, als sie gerade auf dem Weg in ihre Kammer ist, um sich ein wenig auszuruhen. Ihre Hände sind rot und runzlig vom Spülwasser, und die Fingernägel, die in der Woche vor ihrer Ankunft ein wenig länger gewachsen waren, sind alle wieder abgebrochen. Die Pfarrersfrau ist in weißen Musselin gekleidet, mit Rüschen an Kragen, Ärmeln und Rocksaum. Das Korsett schnürt ihre Taille zusammen, trotzdem sind ihre Formen ausladend und weich. Ihre Brüste wölben sich über dem Fischbein und werden leicht in Richtung Achseln nach außen gedrückt. Auch ihr Gesicht wirkt so – breit, weich, entgegenkommend. Die Hände hingegen sind klein und schmal, mit zarten Fingern und glänzend rosa Nägeln. Ihre Füße sind winzig. Wenn sie Schuhe mit hohen Absätzen trägt, erinnert sie ein

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