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Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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Scharren, ein himmlisches leises Knirschen, und die Tür ist offen. Cat sind die Beine eingeschlafen. Sie kämpft sich auf die Knie, dreht den Oberkörper herum, packt die Kante der Tür und spürt Luft durch den Türspalt strömen. Licht flammt hinter ihren geschlossenen Lidern auf. Sie kann nicht sagen, ob es die Kerze in Hester Cannings kleiner Laterne ist, die ihr dieses Licht bringt, oder Erleichterung, Freude, Befreiung. »Oh, Cat! Du meine Güte, deine Hände!«, stößt Hester hervor, stellt die Laterne auf die Kommode und hilft Cat aufzustehen. Die Haut über ihren Fingerknöcheln ist blutig und zerfetzt.
    »Bitte. Bitte schließen Sie mich nicht wieder ein«, sagt Cat. Sie ist nicht sicher, die wievielte Nacht dies ist. Vielleicht war sie nur zwei oder drei Nächte lang eingesperrt, vielleicht auch mehr.
    Hester sieht sie voller Mitleid an. »Niemand weiß, dass ich diesen Schlüssel besitze«, sagt sie und hält ihn locker in der Handfläche. »Komm – komm, setz dich aufs Bett. Ich wasche dir die Hände. Ach je, die vielen Splitter!«
    »Ich kann das schon, Madam. Sie brauchen das nicht zu tun«, sagt Cat tonlos. Sie will Hester nicht erlauben, Wiedergutmachung zu leisten. Will ihr nicht erlauben, sich selbst zu verzeihen. Ein unbehagliches Schweigen entsteht. Hester zieht ihren Morgenrock enger um sich zusammen und legt mit fahrigen Bewegungen die Enden des Gürtels ordentlich zurecht.
    »War es denn so schrecklich? Im Gefängnis, meine ich?«, fragt Hester. Cat starrt sie an und fragt sich, was sie darauf antworten soll.
    »Ja, das war es«, sagt sie schließlich, obwohl sie kaum mehr als ein Krächzen herausbringt.
    »Cat, ich habe mich immer gefragt, was genau du verbrochen hast. Weshalb hat man dich eigentlich ins Gefängnis gesperrt?«, fragt Hester. Als befände sie sich hier, im nächtlichen Zimmer ihres Dienstmädchens, nicht mehr in ihrer realen Welt. Sie kann Fragen stellen, die ihr normalerweise nicht über die Lippen kämen, weil die Regeln nicht die gleichen sind wie sonst. Cat lächelt traurig.
    »Das wollen alle wissen«, sagt sie. »Zwei Monate lang war ich eingesperrt, gemeinsam mit meiner Freundin Tess und vielen anderen. Und weshalb? Wegen Nötigung.«
    »Nötigung?«
    »So lautete die Anklage. Außerdem haben sie uns auch den Vorsatz des Landfriedensbruchs vorgeworfen. Ich hatte einen halben Ziegelstein in der Tasche, aber der war für später. Als ich verhaftet wurde, hatte ich noch nichts geworfen, aber sie haben ihn in meiner Tasche gefunden, und sie wussten, wozu er gedacht war. Und ich hätte ihn auch geworfen.« Trotzig reckt sie das Kinn. »Durch das Fenster des Hutmachers in der West Street, das war mein Plan. Das Geschäft hatte ein wunderbares, riesiges Schaufenster mit all den prächtigen Hüten und Federn auf lauter künstlichen Damenköpfen. Hüte, wie Tess und ich sie nie würden tragen dürfen. Ich wollte es kaputtmachen. Und ich hätte es auch getan!«
    »Pst, Cat! Sie dürfen uns nicht hören«, flüstert Hester. »Aber du hast den Stein nicht geworfen?«
    »Ich bin nicht mehr dazu gekommen. Um sechs Uhr sollten wir uns verteilen, unser jeweiliges Ziel ansteuern und warten. Wenn Big Ben die halbe Stunde läutet, sollten wir angreifen. Aber vorher, am Nachmittag, waren wir noch bei einer Versammlung der Liberal Party. Wir hielten Schilder hoch und sollten so laut wie möglich unsere Parolen rufen, damit alle, die drinnen den Rednern zuhören wollten, auch uns hören mussten, weil man uns nicht einlassen wollte, um unsere Fragen zu stellen und unsere Forderungen vorzutragen. Wir waren zu zwölft, alle Aktiven unserer WSPU -Ortsgruppe. Und Tess, meine Freundin. Sie wollte gar nicht dazugehören, aber ich habe sie einfach für den aktiven Einsatz gemeldet.« Cat hält inne, holt tief und schaudernd Atem und schließt die Augen. Daran zu denken ist unerträglich. »Wir hatten genaue Anweisungen. Was wir getan haben, verstößt gegen kein Gesetz, solange man auf der Straße bleibt. Wenn man den Gehsteig betritt, bezeichnen sie das als Nötigung und nehmen einen fest. Auf der Straße zu stehen und einen Slogan zu rufen ist kein Verbrechen. Einen Meter weiter auf einem leeren Bürgersteig zu stehen und einen Slogan zu rufen ist ein Verbrechen. Wie gerecht und vernünftig die Justiz doch ist! Polizisten sind aufgetaucht, und dann haben sie angefangen, uns zusammenzutreiben. Zuerst war mir nicht klar, was da geschah. Sie haben eine Kette gebildet und sind auf uns zu gegangen,

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