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Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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hätte man sie als politische Gefangene einstufen müssen, nicht als gewöhnliche Kriminelle. Ihnen hätten bessere Unterbringung, besseres Essen, bessere Behandlung und die entsprechenden Privilegien zugestanden. All das hatte die WSPU ihnen erklärt, ehe sie verurteilt worden waren. Cat war das bekannt, als sie durch das mächtige steinerne Tor von Holloway geführt wurde, das mit seinen Zinnen an ein Märchenschloss erinnerte – allerdings ohne einen Prinzen oder ein glückliches Ende. Sie sollten all diese Dinge fordern, und sie mussten das Essen verweigern, bis man sie ihnen zugestand oder ihre Freilassung angeordnet wurde. Der beengte Raum machte Cat nichts aus. Zumindest nicht zu Anfang. Als sie die erste Nacht hinter der abgeschlossenen Tür verbrachte, fand sie das nicht weiter schlimm. Da wusste sie ja noch nicht, was das bedeutete. Sie hatte die Grenzen ihrer neuen Welt noch nicht ausgelotet, noch nicht erkannt, wie eng sie waren und welches Leid sie bringen konnten.
    Der erste Tag ohne Essen war himmlisch. Das Brot war immer altbacken und hart, die Suppe kaum mehr als das Kochwasser, in dem die Wärterinnen sich ihr Gemüse gekocht hatten – dünn und übelriechend. Cat war das gute Essen in der Broughton Street gewöhnt und davor die Küche ihrer Mutter. Dieses Zeug konnte sie kaum anrühren, ohne würgen zu müssen. Ohne Essen fühlte ihr Magen sich bald heiß an und rumorte protestierend, doch es fiel ihr leicht, nicht darauf zu achten. Was sie nicht aß, ließ man in ihrer Zelle vergammeln. Die Wärterinnen schlugen sie wegen ihrer Auflehnung. Die Krähe verdrehte ihr den Arm auf den Rücken und zerrte sie an den Haaren herum. Cat ertrug das alles, denn sie konnten sie nicht zwingen zu essen. Sie konnten nicht gewinnen. So ging das fünf Tage lang, und am sechsten Tag konnte sie nicht mehr von ihrem Lager aufstehen. Auch in den Zellen um sie herum war es ganz still, weil alle Suffragetten zusammen in diesem Trakt untergebracht waren, und Cat blieb ruhig liegen und lauschte dem Schweigen. Das war ein geselliges Schweigen, erfüllt von ihrer geteilten Schwäche – körperlich kraftlos, geistig jedoch stark und entschlossen. Doch diese Stille hielt nur bis zum sechsten Abend an. Dann wurde sie von neuen Geräuschen verdrängt.
    Ein Rollwagen quietschte. Vielfache, zielstrebige Schritte. Schlüssel klapperten, und noch etwas Metallisches. Als Cat die neuartigen Geräusche hörte, hob sie den Kopf von ihrer gammeligen Matratze. Sie dachte daran, aufzustehen und die Wange an das winzige Gitter in der Tür zu pressen, um vielleicht erspähen zu können, was da kam. Ein ungutes Gefühl verursachte ihr eine Gänsehaut, sie hätte nicht sagen können, warum. Dann kamen neue Geräusche hinzu, und sie wusste, dass ihr Instinkt sie nicht getrogen hatte. Sie hörte schrille Schreckensschreie, ein Handgemenge. Dumpf knallte ein Möbelstück an eine Wand, wieder schepperte Metall, die Wärterinnen fluchten, und da waren auch Männerstimmen. Zwei Männer, die brummten wie durch zusammengebissene Zähne. Die Schreie steigerten sich zu panischem Kreischen, das plötzlich erstickt wurde. Ein Husten und Würgen begann, grausige Laute wie die eines Tieres, die Cat noch nie von einem Menschen gehört hatte. Und als die Verursacher dieser Laute jene erste Zelle verließen, blieb drinnen Stille zurück. Eine schreckliche, bleierne Stille. Als die Räder des Rollwagens sich Cats Zellentür näherten, häm merte ihr Herz, als wollte es ihren Brustkorb sprengen.
    Sie war die Nächste. Drei Wärterinnen mit zerzaustem Haar und Kratzern an Armen und Wangen. Gesichter grimmig wie der Tod. Die Krähe war eine von ihnen. Die beiden Männer, die Cat gehört hatte, trugen weiße Kittel wie Ärzte. Die Kittel waren mit irgendetwas bespritzt und verschmiert – gelblich-weiße Flecken mit roten Sprenkeln. Mit diesen fünfen kam ein Gestank nach Schweiß und Angst herein. Langsam setzte Cat sich auf. Ihr Kopf drehte sich vor heftigem Schwindel, sodass sie kaum denken, sich kaum bewegen konnte. »Wenn du uns Scherereien machst, wird es für dich nur schlimmer. Verstanden?«, sagte die Krähe zu ihr. Diese Frau hatte vor ein paar Tagen kalt gelächelt, als sie Cat mit dem Handrücken so fest geschlagen hatte, dass Cats Lippe aufgeplatzt war. »Weg von mir«, sagte Cat. Sie versuchte, aufzustehen, doch ihre Beine waren weich wie Butter. Sie hielt sich an der Matratze fest und bemühte sich noch einmal, sich hochzustemmen. »Das ist zu

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