Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)
wie diese die höchst unwillkommenen Neuigkeiten verdaut.
»Kein Zuhause? Er wohnt nicht einmal irgendwo zur Miete?«
»Nein, Madam. Ich fürchte, es könnte schwierig werden, ihn loszuwerden, solange der Pfarrer es ihm hier derart behaglich macht.«
Hester nickt resigniert. »Du bist sehr scharfsinnig, Cat Morley.«
»Niemand kennt ein Haus und dessen Bewohner so gut wie seine Dienstboten, Madam. Das lässt sich gar nicht vermeiden.«
»Und was weißt du sonst noch über Mr. Durrant?«
»Nur so viel: Trauen Sie ihm nicht über den Weg. Er ist ein Lügner. Falls Sie irgendeine Möglichkeit finden, ihn aus dem Haus zu schaffen, dann tun Sie es«, erklärt Cat ernst.
Hester starrt sie erschrocken an, nickt dann knapp und wendet sich zum Gehen. »Morgen früh«, sagt sie von der Schwelle her, »muss alles so sein, als hätte diese Unterhaltung nie stattgefunden.« Ihre Miene wirkt ein wenig betreten.
»Selbstverständlich«, entgegnet Cat unbeirrt. Dann ist Hester weg und die Tür offen, und Cat legt sich aufs Bett und schläft zum ersten Mal, seit die Tür verschlossen wurde.
Der folgende Tag ist drückend heiß. In der Küche verarbeiten Cat und Mrs. Bell überquellende Körbe voller Himbeeren und Loganbeeren zu Marmelade. Blighe, der Gärtner, bringt immer noch mehr davon in die Küche. Die dicke Haushälterin steht am Herd und rührt und rührt, um dafür zu sorgen, dass sich sämtlicher Zucker in dem riesigen Kupfertopf auflöst. Cat kocht die Einmachgläser ab und setzt einen Kessel Wasser nach dem anderen auf, um sie zu sterilisieren, ehe sie die Marmelade einfüllen. Ihnen beiden rinnt bei der Arbeit der Schweiß über Gesicht und Rücken, zwischen den Brüsten hinab, und tränkt ihre Kleidung. Ihre Wangen sind so rot wie der blubbernde Beerenbrei, ihre Augen ein wenig glasig vor dumpfer Resignation und vagem Unmut, teils über das heiße Wetter, teils über die un schuldigen Himbeeren. Die Luft im Raum ist süß und schwer vom duftenden Dampf. Der klebt an ihrem Haar, ihren Gesichtern und Händen. Cat verbrüht sich zum dritten Mal, saugt zischend den Atem ein und taucht die Hand in den Eimer mit kaltem Wasser, in dem sie die Milch aufbewahren. Mrs. Bell hat nicht mehr genug Kraft, sie dafür zu tadeln oder zu ermahnen, sie solle besser aufpassen.
Die Marmelade muss eine Viertelstunde lang ziehen, damit sich das Obst gleichmäßig verteilt, dann gibt es weitere Verbrühungen beim Einfüllen. Kochend heiße Spritzer treffen nackte Handgelenke, überlaufende Tropfen und Kleckse müssen abgewischt und die heißen Gläser dabei von tänzelnden Fingerspitzen festgehalten werden.
»Lieber Himmel, wenn das nur schon die Letzten wären! In einer Woche geht es mit den schwarzen Johannisbeeren los«, stöhnt Mrs. Bell. Sie hebt die Hand zum Mund und saugt an einer frischen Brandblase.
»Ich muss hier raus«, sagt Cat, stützt die Ellbogen auf die klebrige Tischplatte und beugt sich nach vorn, um den Rücken zu strecken. »Sonst ersticke ich.«
»Hier ist es heißer als in der Hölle, da hast du recht«, stimmt Mrs. Bell ihr zu. Schon den ganzen Tag lang schaut Cat immer wieder zur Tür, zur Treppe, zu Hester hinüber, als sie das Mittagessen auf der Anrichte abstellt. Sie wartet auf ihren Auftrag, ihren Botengang, ihre Möglichkeit, endlich zu George zu gehen. Noch immer hat sie nichts gehört, und das Warten fällt ihr mit jeder verstrichenen Minute schwerer. Um vier Uhr belädt sie das Teetablett mit einer Schale frischer Marmelade und einem Teller Scones. Mit bleischweren Beinen und hölzernen Bewegungen steigt sie die Treppe hinauf. Ganz gleich, wie viel Wasser sie trinkt, sie kann ihren Durst nicht stillen. Im Salon sitzen der Pfarrer und seine Frau und hören zu, wie Robin Durrant ihnen aus einem Brief vorliest. Hester Cannings Gesicht ist ausdruckslos und glänzt feucht, das Haar kräuselt sich unordentlich um ihre Stirn. Sie scheint ganz in Gedanken versunken und nimmt keinerlei Notiz von Cat, sosehr die sich auch bemüht, den Blick ihrer Herrin aufzufangen. Der Blick des Pfarrers hingegen ist stän dig in Bewegung, von Robins Gesicht zu seinen Händen und dem Brief darin. Als Cat in seine Nähe kommt, schließt er die Augen und wendet mit leichtem Schaudern den Kopf ab, als ekelte er sich vor ihrem Geruch.
Cat knirscht vor Wut mit den Zähnen, stellt das Tablett übertrieben vorsichtig ab und arrangiert alles für den Tee so langsam auf dem Tisch, wie sie es wagt, ohne verdächtig zu
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