Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)
Entzündung in der Brust und krampfartigen Husten, bei dem sie keine Luft bekamen. Doch trotz all dieser Beeinträchtigungen begannen ein paar von ihnen sich wieder stärker zu fühlen. Das Essen, das ihnen eingeflößt wurde, nährte ihre Körper, und der Schwindel und die Mattigkeit wichen. Nachdem sie diese brutale, schreckliche Misshandlung drei Tage lang hatten ertragen müssen, taumelten Tess, Cat und einige andere Frauen aus ihren Zellen, kräftig genug, um sich auf den Beinen zu halten, und voller Sehnsucht nach dem Anblick des Himmels. Die beiden Dienstmädchen aus der Broughton Street stützten einander wie zwei schwache, ältliche Witwen und gingen langsam auf den Hof hinaus. Cat brachte es kaum über sich, die Platzwunden und Kratzer in Tess’ Gesicht zu betrachten, die kreidig blasse Haut. Aber sie sah, dass Tess zitterte, obwohl der Tag sehr mild war.
»Ach, Tess, es tut mir so leid, dass ich dich in all das mit hineingezogen habe«, flüsterte Cat ihr zu, während sie in der sonnigsten Ecke des Hofs stehen blieben. Tess versuchte zu lächeln, es wollte ihr jedoch nicht gelingen. Die Mauer hinter ihnen war glitschig von Tau, der in dunklen Streifen die kalten Steine nässte.
»Das war nicht deine Schuld, Cat. Diese Polizisten …«
»Nein – du wärst gar nicht dort gewesen, wenn ich dich nicht dazu gedrängt hätte! Du wärst sicher und wohlbehalten zu Hause geblieben …«
»Ich war lieber mit dir unterwegs, als in diesem Haus festzusitzen, selbst wenn uns das hierhergebracht hat, Cat, ehrlich. Du bist die beste Freundin, die ich je hatte«, sagte Tess, doch ihre Worte wurden von einem heiseren, rasselnden Husten unterbrochen.
»Nein, bin ich nicht!« Cat schüttelte den Kopf, und Zornestränen traten ihr in die Augen. »Du musst den Hunger streik beenden, Tess. Bitte. Du brauchst wirklich nicht weiter zumachen. Ich tue es für uns beide! Fang wieder an zu essen, du kommst ja bald raus. Der Gentleman wird dich wieder einstellen, da bin ich sicher …«
»Vielleicht, wenn du da bist und ein gutes Wort für mich einlegst?« Hoffnung leuchtete in Tess’ Augen auf.
»Aber natürlich lege ich ein gutes Wort für dich ein! Ich sorge schon dafür, dass er dich behält, versprochen.«
»Aber ich werde den Streik nicht abbrechen. Ich will nicht die Einzige sein, die aufgibt, Cat! Und wenn ich weiß, dass du auch streikst, dann halte ich das aus, ehrlich.«
»Aber ich nicht, Tessy! Ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass du diese Behandlung erdulden musst, wo ich doch dafür verantwortlich bin!« Cats Stimme war vor Kummer kaum mehr als ein Krächzen.
»Nicht weinen, Cat – das kann ich nicht ertragen. Ich würde sowieso lieber verhungern, als den Abfall zu essen, den sie uns hier vorsetzen. Himmel, ich könnte jetzt eine von Ellens Pasteten ganz allein verdrücken, du nicht? Eine Rindfleischpastete mit Bierkruste, und mit ganz viel Bratensauce und ein paar Kartoffeln dazu …« Tess schloss die Augen, während sie sich dieses Festmahl ausmalte. Cat lief das Wasser im Mund zusammen.
»Wenn wir hier rauskommen, essen wir eine. Eine von den großen, für uns beide ganz allein. Wir schneiden sie mittendurch, dass es nur so dampft«, versprach sie.
»Eine dicke Scheibe Blauschimmelkäse dazu, und Mandeltörtchen zum Nachtisch. Das wäre ein Essen, für das es sich lohnt, einen Hungerstreik zu brechen – nicht diese eklige Suppe, die sie uns hier geben. Das ist wahrscheinlich nur schmutziges Wasser – genau, das Wasser, in dem die Krähe ihre Füße gebadet hat!«, sagte Tess mit einer zaghaften Grimasse, bei der ihre gesprungene Lippe aufriss. Sie zuckte zusammen, als Cat das hervorsickernde Blut sacht mit dem Ärmel abtupfte.
»Die Krähe? Sich die Füße waschen? So ein Unsinn. Ich habe gehört, dass sie die zuletzt vor zehn Jahren gewaschen hat. Und dass sie gar keine Strümpfe anhat – das ist ihre dreckige, graue Haut, die unter dem Rock vorschaut!«, sagte sie, und Tess versuchte ein winziges Lächeln.
»Das ist widerlich!«, flüsterte sie.
»Das ist noch gar nichts. Wegen dieser Füße ist sie hier gelandet und muss Tag für Tag in diesem feuchtkalten, stinkenden Gefängnis arbeiten. Sie war verlobt, weißt du?«, improvisierte Cat.
»Die Krähe, verlobt? Das glaube ich nie!«
»O doch, vor vielen Jahren, als sie angeblich noch eine gewisse Eleganz besaß, obwohl sie nie eine Schönheit war. Aber in der Nacht vor der Hochzeit hat ihr Bräutigam sie heimlich besucht, und in der
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