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Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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Hitze seiner leidenschaftlichen Umarmung vergaß sie sich, zog die Schuhe aus und … vom Gestank ihrer Füße ist der arme Kerl tot umgefallen!« Sie riss die Arme hoch und sank theatralisch aufs Pflaster nieder, obwohl ihr davon schwindelig wurde. Tess lachte leise und klatschte lautlos Beifall. Dann erstarrte sie, plötzlich todernst.
    Cat blickte auf und sah die dunkelhaarige Wärterin über sich aufragen. Sie hatte die Arme verschränkt, und ihre Augen glitzerten kalt in der Morgensonne. Cat versuchte aufzustehen, doch ihr wurde dabei so schwindelig und übel, dass sie einfach auf dem feuchten Boden hocken blieb.
    »Du hast wohl was Lustiges gehört, ja?«, sagte die Krähe mit trügerisch heiterer, beinahe freundlicher Stimme zu Tess. Stumm schüttelte Tess den Kopf. Sie begann am ganzen Leib zu zittern. »Es hat sich aber angehört, als hättest du gelacht. Deine Freundin hat sich wieder mal ein lustiges Lied oder ein Gedicht ausgedacht, nicht wahr?« Erneut schüttelte Tess den Kopf. »Nun komm, sei nicht so schüchtern. Ich will es hören«, befahl die Frau. Tess blieb still und stumm, und ihr abgehärmtes Gesicht war totenbleich. Cat stemmte sich auf die Füße.
    »Lassen Sie sie in Ruhe«, sagte sie zu der Wärterin. »Sie hat nichts Verbotenes getan.«
    »Das entscheide ich. Na los, ich will hören, was sie gesagt hat. Wenn du es mir nicht erzählst, muss ich davon ausgehen, dass du einen guten Grund hast, warum ich es nicht hören sollte«, fuhr die Krähe drohend fort. Tess warf Cat einen verzweifelten Blick zu, und Cat zermarterte sich das Hirn nach etwas, das die Frau zufriedenstellen könnte.
    »Ich habe gesagt … äh … ich habe …«, stammelte sie. Der Mund der Wärterin verzerrte sich zur Seite, und ein bitteres, höhnisches Grinsen trat auf ihr Gesicht, bei dessen Anblick Tess einen Schritt zurückwich, sodass sie mit den Schultern gegen die Mauer stieß. Die Krähe stürzte sich auf das jüngere Mädchen, das zu wimmern begann. »Ich habe gesagt, dass Sie eine verbitterte alte Schlange sind, die schon ganz faulig riecht! So – jetzt können Sie mich dafür bestrafen!«, rief Cat.
    »Oh, das werde ich«, sagte die Wärterin und packte Tess’ Handgelenk mit starken, hageren Fingern. »Aber im Augen blick ärgert mich gar nicht so sehr, was du gesagt hast, sondern dass dieses kleine Miststück hier darüber gelacht hat.« Sie verdrehte Tess den Arm und zerrte sie in Richtung der Zellen, und Tess stieß einen leisen Schrei purer Angst aus.
    »Nein! Lassen Sie sie in Ruhe!«, schrie Cat und lief den beiden nach. Die Krähe drehte sich um und versetzte Cat mit der flachen Hand einen Stoß, der sie rücklings zu Boden schleuderte. Cat konnte nicht gleich wieder aufstehen. Eine Minute lang versuchte sie hustend, sich aufzurappeln. Als sie es endlich schaffte, war Tess nirgends mehr zu sehen.
    Cat lief die Treppe hinauf und zurück zu dem Gang, in dem ihre Zellen lagen. Von der Anstrengung begann sie zu taumeln, und schwarze Punkte tanzten vor ihren Augen. »Was ist passiert?«, fragte eine andere Gefangene mit grauen Lippen in einem aschfahlen Gesicht. »Die Krähe hatte den Totschläger in der Hand!« Die Tür zu Tess’ Zelle war verschlossen, und obwohl Cat wusste, dass es zwecklos war, trommelte sie dagegen und schrie, sie sollten sie hineinlassen, bis zwei andere Wärterinnen kamen, sie in ihre eigene Zelle brachten und die Tür hinter ihr zuknallten. Dabei wechselten sie einen unverkennbar missbilligenden Blick ob der Geräusche, die aus Tess’ Zelle drangen, doch sie unternahmen nichts. Sie pressten nur die Lippen zusammen und gingen. Wie betäubt vor Entsetzen und starr vor Schuldgefühlen saß Cat mit dem Rücken an die Wand gelehnt und lauschte den Schlägen, hörte das Schreien und Schluchzen. Sie glaubte, vor Scham und rasender Wut jeden Moment in Flammen aufzugehen. Doch das tat sie nicht. Schatten zogen sich um sie zusammen, nahmen den Raum ein und erdrückten sie, und sie wusste, dass dieses Gefühl sie ihr Leben lang begleiten würde: das Gefühl, vollkommen machtlos zu sein, unabänderlichen Schaden angerichtet zu haben.
    Als Tess’ Tür am nächsten Tag wieder aufgeschlossen wurde, kam Tess nicht heraus. Sie hockte in der hintersten Ecke in zerrissenen Kleidern, mit frischen, blutverkrusteten Wunden und unzähligen dick geschwollenen Blutergüssen am ganzen Körper. Irgendeine Essenz war aus ihr gewichen und aus dieser Zelle entflohen. Der kleine Funke, der ihr Lachen strahlen

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