Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)
ließ, das begeisterte Leuchten in ihren Augen. Cat stand lange auf der Schwelle und starrte schonungslos das an, was sie angerichtet hatte. Sie ließ sich die Folgen ihrer Handlungsweise spüren und sagte sich, dass sie das niemals würde wiedergutmachen können.
Vielleicht doch, denkt sie, als sie nun dem Pfarrhaus den Rücken kehrt, vielleicht habe ich doch genug dafür gelitten. Sie hat es in zahllosen Albträumen immer wieder durchlebt und sich die erdrückende Last der Selbstvorwürfe auf die Schultern geladen. Sie hat kaum geschlafen, kaum gegessen. Sie hat ihren Körper und ihre Seele sauber gescheuert. Sie wird Tess wiedersehen, in ein paar Wochen, ein paar Monaten. Dann wird sie herausfinden, ob Tess sie trotz allem, trotz ihrer gebrochenen Versprechen und der Woge von Unglück, die Cat über sie beide hat hereinbrechen lassen, noch liebt hat, ob sie noch ihre Freundin ist. Irgendwie hat Cat im tiefsten Herzen das Gefühl, dass die Vergebung nicht mehr weit ist. Plötzlich entdeckt sie vor sich eine wartende Gestalt. Robin nickt und lächelt ihr knapp zu, als sie zu ihm tritt.
»Guten Morgen. Bist du bereit zu tanzen, Weidengeist?«, begrüßt er sie.
»Haben Sie mein Geld?«, gibt sie schroff zurück. Sie will ihm ihre freudige Erregung nicht zeigen – die will sie ganz für sich behalten. Robin zieht ein klägliches Gesicht und fischt ein paar zusammengefaltete Banknoten und eine Handvoll Münzen aus der Hosentasche. Cat steckt das Geld rasch in ihre Tasche.
»Bitte sehr. Für diese Gage solltest du besser eine großartige Vorstellung geben. Ich habe dein Kostüm hier.« Er tätschelt seine große Ledertasche, und sie hört ihm die Aufregung deutlich an. Seine Nerven sind angespannt.
»Also, noch ein letztes Mal. Bringen wir es hinter uns«, sagt Cat. Sie steigen über den Tritt und gehen über die Wiesen zu der Stelle, wo die Weide auf sie wartet.
Als Cat das fließende weiße Gewand anlegt und die lange, weißblonde Perücke aufsetzt, fühlt sie sich beobachtet. Nicht nur von dem Theosophen oder vom wartenden Tag hinter der Morgendämmerung. Nein, von etwas anderem, jemand anderem. Ihr sträuben sich die Härchen im Nacken. Sie richtet den Blick auf den Horizont und dreht sich langsam einmal um sich selbst. Es ist niemand zu sehen. Aber das Gras und die anderen Pflanzen sind hoch, an manchen Stellen reichen sie ihr bis zur Hüfte. Cat starrt in das umgebende Grün, kann aber noch immer nichts entdecken. Keine verräterisch abgeknickten langen grünen Stängel, keine Blüten, von denen der Tau geschleudert wurde, abgesehen von dem Pfad, den sie und Robin in die Wiese getrampelt haben. Keine Bewegung, nicht das geringste Zucken eines heimlichen Beobachters. Dennoch spürt sie diesen Blick, und sie strengt ihre Augen und Ohren an wie ein Kaninchen, das einen Fuchs gewittert hat. Eine Schleiereule gleitet gespenstisch über die Wiese und lässt sich von lautlosen weißen Flügeln zu den Bäumen im Norden tragen.
»Was ist? Stimmt etwas nicht?«, fragt Robin und blickt von seiner Kamera auf, nachdem er an den Linsen herumgewerkelt und alle Einstellungen überprüft hat.
Cat zuckt mit einer Schulter. »Alles in Ordnung«, lügt sie. Sie faltet ihr Kleid zu einem Bündel zusammen und legt es auf ihre Tasche.
»Bereit?«, fragt er, und sie nickt.
Cat geht erst ein Stück am Bach entlang und starrt auf die Steine und Kiesel und Pflanzen im Bachbett hinab, die unter dem gespiegelten Himmel gerade noch zu erkennen sind. Ihr ist nicht nach Tanzen zumute, nicht wie beim letzten Mal. Der Zorn, der sie damals befeuert hat, ist erloschen, und sie fühlt sich glücklicher, es gibt weniger, wogegen sie ankämpfen muss. Sie breitet die Arme aus wie Vogelflügel, hebt das Gesicht dem Versprechen des Sonnenaufgangs entgegen und schließt die Augen. Als sie sie wieder öffnet, sieht sie ihn: das unverwechselbare helle Haar über dem rosigen Gesicht des Pfarrers, seine mageren Schultern in dem schwarzen Mantel mit dem hohen, engen Kragen eines Geistlichen. Er ist weit weg und bei ihrem Anblick erstarrt, halb geduckt, als wollte er sich verstecken. Cat schlägt das Herz bis zum Hals, und ihr Magen krampft sich schmerzhaft zusammen. Er hat sie entdeckt, kein Zweifel. Sie fragt sich, ob Robin weiß, dass er hier ist – dass der Pfarrer im Bilde ist. Aber nein, sie ist sicher, dass er das hier nicht sehen sollte. Der Pfarrer ist Robins gläubiger Anhänger, sein Fürsprecher. Bei niemandem könnte es wichtiger sein,
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