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Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Webb
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dreißig Zentimeter, ähnelte einem übergroßen Schulranzen und war vor Alter dunkel und steif wie ein Brett. Die Metallschnallen waren von Rost zerfressen. Leah strich mit den Fingern über die Tasche und runzelte die Stirn. Ihre Hände berührten etwas, das auch Hester Canning berührt hatte. Sie konzentrierte sich und versuchte, sich vorzustellen, wie sie diese Tasche in ihrer Angst und Verzweiflung versteckt hatte, um sie nie wieder hervorzuholen – sie aber auch niemals zu vergessen.
    »Ich habe alles drin gelassen, genau so, wie ich die Tasche gefunden habe. Ich versuche immer, alles so zu lassen, wie ich es gefunden habe. Machen Sie sie ruhig auf. Nur zu«, drängte Chris Ward, offensichtlich immer noch aufgeregt über seinen Fund.
    Vorsichtig hob Leah die Klappe hoch und hielt dabei unwillkürlich den Atem an, erwartungsvoll, ehrfürchtig. Sie nahm behutsam vier Gegenstände heraus und dann einen Stapel Papier, so fleckig und vermodert, dass sie nicht darauf hoffen durfte, jemals entziffern zu können, was einmal auf diesen Seiten gestanden hatte. Leah starrte auf die Sachen hinab, und ein leichter Schlag durchfuhr sie, als sie sie erkannte. Die drei standen eine Weile schweigend davor, während Leah Fragen und Antworten durch den Kopf wirbelten.
    »Ich habe das Tagebuch gelesen«, gestand Chris Ward zögernd. »Daher kannte ich den Namen Canning. Aber darin steht nichts über die anderen Sachen. Und was die zu bedeuten haben.«
    »Ich weiß genau, was das ist. Und was sie zu bedeuten haben«, sagte Leah leise.

1911
    Hester ballt die Hände zu Fäusten, um die Blutflecken darauf zu verbergen. Sie erträgt es nicht, sie zu sehen, erträgt es nicht, was da an ihrer Haut klebt, doch in diesem Zimmer gibt es nichts, woran sie sich die Hände abwischen könnte, ohne verräterische Spuren zu hinterlassen, für jeden sichtbar. Sie steht stocksteif da und versucht nachzudenken, überlegt fieberhaft hin und her, findet aber keine Antworten. Nichts ergibt einen Sinn. Ein Polizist steht draußen im Flur, ein anderer jetzt, älter als der erste. Er ruft mehrmals mit tiefer, rauer Stimme ihren Namen. Hester glaubt, sich übergeben zu müssen. Sie schluckt krampfhaft, tritt hinaus auf den Flur und schließt die Tür hinter sich.
    »Ah, Mrs. Canning. Bitte entschuldigen Sie mein Eindringen. Die Tür war offen, und anscheinend hat keiner Ihrer Dienstboten mein Klopfen gehört«, erklärt er. Dann wird ihm offenbar klar, was er da gesagt hat, und er errötet peinlich berührt. Hester spürt, wie ihr heiße Tränen in die Augen steigen. »Verzeihung«, murmelt der Mann.
    »Ich fürchte, der Pfarrer ist nicht zu Hause.« Hesters Stimme klingt dünn und blechern. »Ebenso wenig wie Mr. Durrant, unser Gast. Um diese Tageszeit findet man sie meist in den Auen zwischen hier und Thatcham, wo sie …«
    »Oh, wir wissen, wo Robin Durrant ist, nur keine Sorge. Wir haben ihn bereits in Gewahrsam genommen, und er wird von drei Mann bewacht.«
    »Was meinen Sie damit? Weshalb wird er bewacht?«
    »Vielleicht möchten Sie sich lieber setzen, Mrs. Canning? Das ist natürlich ein furchtbarer Schock, für alle hier im Haus.« Unten bricht Sophie Bell erneut in klägliches Geheul aus, das oben deutlich zu hören ist.
    »Ich will mich nicht setzen! Warum wird Robin Durrant von drei Mann bewacht?«
    »Nun ja, Mrs. Canning, Mr. Durrant ist derjenige, der den Mord begangen hat. Er wurde unmittelbar danach von zwei Männern gesehen, als er den Leichnam des Mädchens im Kanal verschwinden lassen wollte. Er hat nicht einmal versucht, zu fliehen, und er war über und über mit ihrem Blut besudelt. Jetzt sitzt er in seiner Zelle und spricht mit niemandem ein Wort, nicht einmal, um die Tat abzustreiten. Meiner Erfahrung nach gibt es kein deutlicheres Anzeichen von Schuld. Schreckliche Sache, wirklich schrecklich.« Der Polizist schüttelt den Kopf. Hesters Ohren sind auf einmal von einem dumpfen, ungleichmäßigen Pochen erfüllt. Graue Schatten quellen am Rand ihres Gesichtsfelds auf.
    »Da muss irgendein Irrtum vorliegen«, flüstert sie und lehnt sich an die Wand, um sich daran abzustützen.
    »Bitte, Madam, erlauben Sie … Sie müssen sich hinsetzen. Ich lasse Ihnen ein Glas Wasser bringen …«
    »Nein, nein, lassen Sie Sophie in Ruhe. Sie ist ja völlig außer sich«, protestiert Hester, aber so leise, dass der Mann sie anscheinend nicht versteht.
    »Constable Pearce! Holen Sie bitte ein Glas Wasser für Mrs. Canning!«, brüllt er die Treppe

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