Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)
den Beschwörungen draußen in den Flussauen.«
»Vielleicht ist es wie bei jedem wilden Lebewesen so, dass sich erst Vertrauen entwickeln muss, bevor eine Annäherung möglich ist«, versucht Albert es.
»Um irgendeine Chance zu haben, ein Elementarwesen auf einer Fotografie zu erfassen, brauche ich all meine geistig-seelischen Kräfte. Ich kann es mir nicht leisten, dass du dabei das Gleichgewicht störst … Aber setze deine Studien fort, Albert. Frage mich, was immer du möchtest, und ich werde dich lehren, was ich kann«, fügt Robin sanfter hinzu. »Du stehst erst am Beginn des langen Weges zur Erleuchtung, doch die ersten Schritte hast du schon getan – die ersten und allerwichtigsten! Gib die Hoffnung nicht auf. Bald, wenn ich den Beweis in Händen halte, wirst du Teil der größten geistigen Revolution sein, die diese Generation in der zivilisierten Welt erlebt!«
»Du bist also sicher, dass es dir gelingen wird? Was noch niemandem zuvor gelungen ist?«, fragt Albert.
»Es wird mir gelingen«, bestätigt Robin, und seine Überzeugung klingt wie Stahl aus seiner Stimme. Cat fühlt sich plötzlich unbehaglich und huscht den Flur entlang und hinab zur Küche, wohin sie ihr gewiss nicht folgen werden.
Am Freitagmorgen ist es heiß, sobald die Sonne über dem Horizont aufsteigt. Hester sitzt an ihrem Frisiertisch, und während sie beginnt, sich das Haar hochzustecken, spürt sie, wie feucht es sich dicht an ihrer Kopfhaut anfühlt. Albert ist längst nicht mehr im Schlafzimmer. Als sie sein glattes Kissen betrachtet, ist sie nicht einmal sicher, ob er überhaupt zu Bett gegangen ist. Doch sie selbst hat eine sehr unruhige Nacht hinter sich, wovon die zerwühlten Laken zeugen. Wieder betrachtet sie sein von der Sonne beinahe schmerzhaft hell beleuchtetes Kopfkissen. Ihre Gedanken wenden sich erneut den Worten des Theosophen zu, den vielen, vielen Worten, die er seit seiner Ankunft gesprochen hat – die meisten davon an Albert gerichtet. Worte, die wie Regentropfen von seinen Lippen fallen. Albert scheint sie aufzusaugen wie ausgedörrte Erde. Hester merkt es an seinem Gesichtsausdruck, an diesem kleinen, gedankenverlorenen Stirnrunzeln und der Art, wie sein Blick sich im Ungewissen verliert. In letzter Zeit hat sie das Gefühl, Albert nur noch in Begleitung von Robin Durrant zu sehen, nie mehr alleine. Der Theosoph ist stets an seiner Seite. Oder vielleicht ist eher Albert stets an Robins Seite. Hester seufzt.
Während sie Gesichtscreme in die Augenwinkel tupft, beginnt sie im Geiste einen Brief an Amelia. Es würde mich nicht so belasten, wenn ich nur einen Anhaltspunkt hätte, wie lange er noch zu bleiben gedenkt … entwirft sie ihre Erläuterung . Berties Bezüge sind bescheiden wie eh und je – so bescheiden, dass sie nicht für das Telefon reichen, das ich so gern installieren lassen würde. Und doch können wir diesen jungen Mann anscheinend monatelang unterhalten, so lange es eben dauert, bis er sein Projekt abgeschlossen hat! Wie gern sie die Stimme ihrer Schwester hören würde. Doch selbst wenn sie die Mittel dazu besäßen, würde Albert ihr wahrscheinlich ein Telefon verweigern. Sein Misstrauen gegenüber der modernen Welt wächst zusehends. Ich glaube, wenn es in seiner Macht stünde, würde er Automobile verbieten, sämtliche Züge demontieren und die Schienen aufrollen lassen! Dem Himmel sei Dank dafür, dass er zumindest die Vorteile des elektrischen Lichts einsieht. Doch das hört sich an, als kritisiere sie Albert ebenso wie ihren Hausgast, und Hester kommt sich plötzlich vor wie ein mürrisches Eheweib und eine wenig gastfreundliche Hausherrin, also verwirft sie den im Geiste verfassten Brief wieder. Das Schlafzimmer ist auf einmal zu ruhig, zu still. Hester hat das dringende Bedürfnis, mit jemandem zu sprechen.
Unten im Salon findet sie Albert, der mit trübseliger Miene hinter der Morgenzeitung aufblickt. Ausnahmsweise einmal ist der Theosoph nirgends zu sehen. Hester beugt sich vor und küsst Albert auf die Wange.
»Guten Morgen, mein Lieber. Wie geht es dir?«, begrüßt sie ihn.
»Gut, Hetty. Gut«, entgegnet Albert geistesabwesend. Hesters Lächeln verblasst.
»Ich wusste nicht, dass du mit dem Frühstück auf mich wartest. Es tut mir leid, dass ich erst so spät heruntergekommen bin! Ich dachte, du würdest noch eine Weile mit Mr. Durrant unterwegs sein«, bemerkt sie.
»Das macht nichts. So hatte ich Gelegenheit, die Zeitung zu lesen, ehe der Tag beginnt und wichtigere
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