Das Haus der vergessenen Träume: Roman (German Edition)
verschwinden werde, denkt sie. Eines Tages. Die Ar men sind zu sehr damit beschäftigt, ums Überleben zu kämpfen, sie haben keine Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, wie sie sich über den Tod hinaus erhalten könnten. Zu Tausenden verschwinden sie jeden Tag, werden auf ewig unsichtbar für zukünftige Generationen. Niemand wird je wissen, dass es mich gegeben hat. Cat versucht, sich nichts daraus zu machen, denn das sind ja nur leere Eitelkeiten. Doch der Gedanke ist alles andere als tröstlich.
Plötzlich schwebt Albert vom Salon zur Bibliothek über den Flur, und Cat schnappt nach Luft. Der Pfarrer wirkt eigenartig abwesend, er treibt von Raum zu Raum, so leise und gedankenverloren, dass Cat oft gar nicht weiß, wo er gerade ist. Das ist überaus beunruhigend. Anhand der Geräusche im Haus weiß ein Dienstbote stets, wo die Herrschaften sich aufhalten. Das muss man wissen, damit man ihnen ausweichen kann, hier hinein- und dort hindurchschlüpfen kann, um zu putzen und Ordnung zu schaffen, ohne je gesehen zu werden. Damit man sich einmal eine winzige Pause gönnen, sich einen Augenblick lang an einen warmen Kachelofen lehnen oder sein Spiegelbild in einem vergoldeten Rahmen betrachten oder aus dem Fenster in die weite Welt hinausschauen kann, eine Welt, in der ein Dienstbote nichts zu suchen hat. Immer wieder hat Cat sich dieser Tage von einer frisch polierten Kaminplatte aufgerichtet oder mit dem Staubwedel in der Hand von einem Bücherregal abgewandt, und da saß der Pfarrer plötzlich hinter ihr in einem Sessel und las oder schrieb in sein Tagebuch, ohne sie zu beachten. Er ist wie eine Katze, die sich die seltsamsten Stellen zum Schlafen aussucht, sodass man immer befürchten muss, versehentlich auf sie zu treten. Cat fühlt sich nie ganz wohl im Haus, wenn sie weiß, dass der Pfarrer zu Hause ist.
Sie hört, wie sich die Tür auf der anderen Seite der Bibliothek quietschend öffnet und kurz darauf mit einem dumpfen Schlag wieder schließt. Sie hält inne.
»Hast du das gesehen?« Robin Durrants laute Stimme unterbricht abrupt die Stille. Cat hört am lauten Klatschen, dass die Zeitung zornig hingeworfen wird.
»Robin!« Die Stimme des Pfarrers klingt lebhaft vor Freude. »Unser Bild? Ja, das habe ich gesehen. Ich finde, es ist recht gut geworden, obwohl …«
»Ich rede nicht von dem Bild , ich rede von dem Klatsch, den dieser … dieser Spitzel über mich verbreitet!«, bellt Robin. Seine Stimme bebt vor Empörung, und Cat kann das wutverzerrte Gesicht direkt vor sich sehen. Sie beißt sich auf die Unterlippe, um einen aufsteigenden Lachanfall zu unterdrücken, geht ein paar kleine Schritte weiter auf die Bibliothek zu und späht durch den Spalt zwischen den Türflügeln. Robin ragt vor dem sitzenden Pfarrer auf, die Kiefermuskeln vor Zorn verkrampft, während der Pfarrer den kurzen Artikel liest. Hat wohl einen empfindlichen Nerv getroffen, was?, denkt Cat.
»Also, Robin, dieser anonyme Spitzel ist ein Journalist der niedersten Sorte, und jeder weiß, dass man ihm kein Wort glauben kann. Bitte rege dich nicht darüber auf …« Albert räuspert sich beinahe schüchtern nach diesen besänftigenden Worten.
» Fantasiegestalten nennt er sie. Fantasiegestalten! Hält er mich vielleicht für dumm? Wie kann er es wagen, einfach davon auszugehen, dass er mehr von solchen Dingen verstünde als ich? So eine Unverfrorenheit! «
»Wirklich, Robin, du brauchst dir das nicht so zu Herzen zu nehmen … niemand wird diesen Artikel groß beachten«, sagt Albert, in dessen Stimme nun wachsende Besorgnis mitschwingt.
»Und dieser Scherz, von wegen einen Goldschatz für meinen Vater finden … was soll das denn heißen? War etwa jemand von der Zeitung in Reading und hat meinen Vater belästigt? Oder die Dienstboten zu Hause danach ausgefragt, was mein Vater von der Theosophie hält?«, fährt Robin auf. In der qualvollen Pause wartet Cat darauf, dass Robin zwei und zwei zusammenzählt und die wahre Quelle dieser Klatschgeschichte errät. Ihr Herzschlag dröhnt ihr in den Ohren.
Der Pfarrer murmelt etwas, das Cat nicht versteht, doch seine Stimme klingt kleinlaut und unglücklich.
»Der hat doch keine Ahnung, wovon er redet – einer von diesen engstirnigen Idioten, die unter ihren Schnurrbärten höhnisch über mich grinsen … nicht die geringste Ahnung. Und keine Ahnung, wer ich bin, oder bald sein werde!«
»Robin, bitte, du brauchst dich wirklich nicht so zu erregen …«
»O doch, allerdings! Seit
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