Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition)
goldenen Aufschriften, die suggestiven Namen. Aiguilles de Jade. Bouddha Bleu. Thé du Dragon.
»Worüber wollen Sie dann reden?«
»Ich weiß, dass das alles nicht einfach ist«, begann Marcher.
»Ich brauche kein Mitgefühl. Ich will nur wissen, was Sie tun, um meinen Bruder zu finden.«
Jac lehnte sich gegen die Tür und schloss die Augen. Der Duft von Robbies Teesammlung ließ ihr seine Abwesenheit schmerzlich bewusst werden.
»Mademoiselle L’Étoile, wir würden wirklich gern persönlich mit Ihnen sprechen. Ein paar Minuten nur.«
»Warum lassen Sie mich verfolgen?«
»Wir verfolgen Sie nicht, sondern beschützen Sie. Genau darüber möchte ich mit Ihnen reden.«
»Beschützen? Vor wem denn?«
»Ich fürchte, das kann ich Ihnen nicht sagen.«
»Oder Sie wollen es nicht?«
»Ich habe im Augenblick nicht die Möglichkeit …«
»Es geht um meinen Bruder!« Ihre Stimme hallte von den Wänden der Kammer wider.
»Dessen bin ich mir voll und ganz bewusst. Und es tut mir leid, nicht mehr für Sie tun zu können. Glauben Sie mir, wenn wir Näheres über seinen Verbleib wüssten, würden wir Sie sofort informieren.«
»Wissen Sie denn zumindest, wer hier gestorben ist?«
»Nicht genau.«
»Also haben Sie eine Vermutung?«
»Wir haben Anhaltspunkte.«
»Anhaltspunkte? Was soll das denn wieder heißen? Wissen Sie jetzt, wer es ist, oder nicht? Hier ist jemand gestorben, verdammt noch mal.«
»Jac?«, fragte Griffin vor der Tür.
Jac öffnete.
»Alles okay?«
Sie nickte.
»Wir haben Anhaltspunkte, die wir erst noch verifizieren müssen«, sagte Macher.
Jac war es egal, ob sie sich unmöglich verhielt oder ob sie hysterisch klang. »Mein Bruder ist seit Montagabend verschwunden.Heute ist Freitag. Freitag! Ich will wissen, was Sie herausgefunden haben.«
»Ich verstehe ja, dass das unbefriedigend für Sie ist …«
Jac atmete tief durch. Sie sah zur Decke hoch und starrte die schlichte Lampenfassung an. Wie lange hing sie wohl schon dort? Vierzig Jahre? Sechzig? Hundert? Es war erstaunlich, wie lange manche Dinge hielten. Wie sie sich nie veränderten.Andere veränderten sich viel zu rasch.
»Sobald ich etwas weiß, das ich Ihnen mitteilen kann, rufe ich Sie an. Heute wollte ich nur mit Ihnen sprechen, um Sie zu bitten, unseren Schutz anzunehmen. Versuchen Sie nicht, ihn zu umgehen, wie Sie es heute Morgen mit Monsieur North getan haben.«
»Wollen Sie damit sagen, ich sei in Gefahr?« Machers Warnung beängstigte Jac nicht, sondern verärgerte sie. Sie verlor die Geduld.
»Wir wissen nicht, wie es zu dem Vorfall in der Werkstatt gekommen ist. Wenn es persönliche Motive waren – Eifersucht, geschäftliche Differenzen oder dergleichen –, sind Sie nicht in Gefahr.«
Jac war das Gespräch allmählich leid.
»Aber wenn es dem Eindringling um die Tonscherben ging, mit denen sich Ihr Bruder und Monsieur North beschäftigt haben«, fuhr Marcher fort, »sind Sie es sehr wohl. In großer Gefahr sogar. Solange Ihr Bruder fort ist, weiß niemand, wo sich das Gefäß befindet. Jemand könnte vermuten, dass Sie es wissen. Oder dass Ihr Bruder es auf Ihrem Grundstück versteckt hat und dass man Sie dazu bewegen könnte – oder dazu zwingen –, es zu finden.«
Jac lief ein Schauder über den Rücken. Jetzt hatte er es doch geschafft, ihr Angst zu machen. Der Mistkerl. Aber davon würde sie sich nicht ablenken lassen. Sie musste Robbie finden, koste es, was es wolle.
Neununddreißig
11:30 UHR
Noch hatte Jac keinen Blick in die Tiefe gewagt. Dort unten erwarteten sie kilometerlange stockfinstere Tunnel, Weltkriegsbunker, satanische Kultstätten. Die Knochen von sechs Millionen ihrer Landsleute, die man ihrer ursprünglichen Ruhestätte entrissen hatte. Brüchige Stollen, die noch heute einstürzen konnten. Und hoffentlich, irgendwo in dem bedrohlichen Gewirr, ihr Bruder Robbie.
Am meisten fürchtete sie jedoch die obere Kante der Tunnelöffnung. Sie war weder scharfkantig noch schartig. Jac würde sich nicht daran verletzen. Aber wenn sie nur einen Fuß darüber hinausschob, lief sie Gefahr, in den Abgrund zu stürzen. In die feuchtkalte Dunkelheit. Die bodenlose Tiefe. Ins Unbekannte.
»Die Stufen sind zwar hoch, aber ziemlich breit«, rief Griffin ihr zu. Er war vorausgeklettert und wartete einige Meter weiter unten auf sie.
Malachai war im Haus geblieben. Seit seinem Unfall vor zwei Jahren konnte er nicht mehr klettern, und außerdem war es gut, wenn jemand für den Notfall in
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