Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition)

Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melisse J. Rose
Vom Netzwerk:
nur darum gegangen, logisch zu agieren und ihn zu finden. Jetzt führte Logik nicht mehr weiter.
    In den mythischen Geschichten, die sie gelesen, erforscht und weitererzählt hatte, wies das Schicksal den Menschen ihren Weg. Jeder konnte selbst entscheiden, ob er diesem Weg folgte oder sich in die Büsche schlug. Als Archetypen durch die Generationen weitergereicht wurden nur die Geschichten derjenigen Menschen, die ihrem Weg trotz aller Gefahren bis zum Ende folgten. Sie wurden zu siegreichen oder tragischen Heldengestalten. Ihre Lebenswege taugten am besten als Metaphern und gewährten die tiefsten Einblicke in das Wesen des Menschen. Doch es musste auch andere Geschichten gegeben haben, längst vergessene, in denen jemand vom vorgezeichneten Pfad abgewichen war und nichts Dramatisches erlebt hatte. In denen das Leben einfach weitergegangen war wie zuvor. Diese Geschichten wurden nicht überliefert. Sie enthielten keine universelle Moral. Keine Höhenflüge oder Höllenfahrten.
    Jac wünschte sich, Robbies und ihr Leben könnte ebenso ereignislos verlaufen. Robbie könnte sein Versteckspiel aufgeben und die ganze Sache der Polizei überlassen. Könnte die Tonscherben einem Museum übergeben. Oder Malachai. Odersie einfach zu Staub zertreten und endlich wieder an seinen herrlichen Parfüms arbeiten.
     
    Malachai Samuels erwartete sie im Wohnzimmer. Er hörte ein Concerto von Tomaso Giovanni Albinoni und ließ sein Buch sinken, als er Jac und Griffin eintreten sah.
    »Habt ihr ihn gefunden?«, fragte er hastig, als könnte er dadurch die Antwort schneller bekommen.
    Griffin nickte. »Ja, es geht ihm gut.«
    »Gott sei Dank.«
    »Ist irgendetwas passiert, während wir weg waren?«, fragte Jac.
    Malachai schüttelte den Kopf. »Ein paarmal hat das Telefon geklingelt, sonst nichts. Habt ihr alles gut überstanden?«
    »Überstanden?« Jac schüttelte den Kopf. »Ich habe solche Angst. Ich weiß gar nicht, was schlimmer ist – was schon alles passiert ist oder was uns noch bevorsteht.«
    »Jac, für dich ist immer das am bedrohlichsten, was noch kommen könnte«, antwortete Griffin. »Deine Vorstellungskraft ist dein größter Gegner.«
    »Man braucht nicht viel Vorstellungskraft, um sich Sorgen um Robbie zu machen«, sagte Jac. »Mit Argus und seinen hundert Augen am ganzen Körper bin ich noch klargekommen. Und mit Zerberus, dem dreiköpfigen Wächter der Unterwelt. Mit dem menschenfressenden Minotaurus. Aber das hier …« Jac war flau im Magen. Sie spürte, wie der Staub ihr alle Poren verstopfte. »Ich brauche jetzt eine Dusche. Griffin kann dir alles erzählen«, sagte sie zu Malachai. »Von meinem starrsinnigen Bruder und der angeblichen Kostbarkeit, für die er unbedingt sein Leben riskieren will.«
    Im Hinausgehen hörte Jac noch, wie Malachai fragte: »Hatte Robbie die Scherben denn dabei, Griffin? Sind sie noch da?«

Fünfundvierzig
     
     
    15:45 UHR
     
    Die kahlgeschorene Asiatin in der safrangelben Robe blickte auf das Display ihres Handys, erkannte die Nummer und nahm ab. Eine Nonne mit einem hochmodernen Mobiltelefon in der Hand – kein sehr harmonischer Anblick. Mit Achtsamkeit oder Einkehr hatte das Bild wenig zu tun.
    »Was gibt’s?«, fragte der Mann am anderen Ende, ohne zu grüßen.
    »Der Archäologe war hier und hat mich um Hilfe gebeten.«
    Der Tempel war leer. Es war nur ein einziger Besucher dagewesen, der vor zehn Minuten wieder aufgebrochen war. Dennoch ging die junge Frau hinaus und stellte sich hinter ein Dickicht aus Robinien, damit sie es bemerkte, wenn sich jemand näherte.
    Jeden Morgen nach dem Erwachen und jeden Abend vor dem Einschlafen meditierte sie, um ihre Ängste zu überwinden. Wenn sie ihr Selbst hinter sich lassen wollte, musste sie eins mit sich sein. Die Tiefenmeditation, die sie im Retreat erlernt hatte, hatte sich dabei als ausgesprochen nützlich erwiesen. Es hätte den Lamas wohl kaum gefallen, wozu sie sie nutzte, doch deren Vorstellungen waren längst Geschichte. Die Zukunft musste man ehren, nicht immer nur die Vergangenheit.
    »Was hat er gesagt?«, fragte der Mann kurz angebunden.
    »Robbie L’Étoile ist in Sicherheit und möchte ein Treffen mit Seiner Heiligkeit arrangieren.« Sie lächelte. »Und er hat mir eine Liste der Ausrüstung gegeben, die ich für den Weg zu ihm brauche.«
    »Ausrüstung?«
    Es war ein sonniger Tag. Nur wenige Schäfchenwolken segelten über den blauen Himmel. Es waren keine Vögel zu sehen, doch ihr Gezwitscher drängte sich

Weitere Kostenlose Bücher