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Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition)

Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melisse J. Rose
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beharrlich in das Bewusstsein der jungen Frau.
    »Ja, Ausrüstung. Er hat es nicht näher erklärt.«
    »Was steht denn auf der Liste?«
    Die Nonne zählte es ihm auf.
    »Also ist er in den Katakomben«, stellte der Anrufer fest.
    »Sieht ganz danach aus.«
    »Wir sollten unser Vorgehen absprechen.«
    Die Vögel gaben einfach keine Ruhe. Sie waren so laut, dass jede Konzentration unmöglich wurde. Zähneknirschend nahm sie eine Handvoll Kies vom Boden auf und warf ihn in den Baum zu ihrer Rechten. Dann noch eine Handvoll nach links. Die Plagegeister flatterten auf und verschwanden. Stille. Jetzt konnte sie wieder ungestört denken.
    Je detaillierter sie den Plan ausarbeiteten, desto sicherer war die Frau, dass er funktionieren würde.
    »Du brauchst Überzeugung, keine Gewissheit«, konnte sie ihren Mentor sagen hören. »Stolz bringt dich nicht weiter. Er stört die Konzentration. Vermindert deinen Einsatz.«
    Das war eine der Lektionen, die er ihr hatte beibringen wollen – und eine, die sie nie ganz gemeistert hatte. Den Stolz auf ihre Arbeit in Stolz auf das gemeinsame Ergebnis umzuwandeln. Wahrhaft selbstlos zu sein. Immer wieder stand ihr Ego ihr im Weg. Und es war paradox – jedes Mal, wenn sie Fortschritte machte, wurde ihr Ego damit nur noch größer.
    »Wir verlassen uns auf dich«, sagte ihr Vorgesetzter. »Was L’Étoile gefunden hat, ist äußerst wichtig für uns.«
    »Ich weiß.«
    »Es darf keinesfalls in die falschen Hände geraten.«
    »Ich weiß.« Doch darüber hinaus wusste sie so gut wie nichts. Man hatte ihr beigebracht, ihre Unwissenheit hinzunehmen. »Es würde mich nur interessieren, was daran so bedeutsam ist.«
    Einen Augenblick lang blieb es still. Sie fragte zu viel. Auch das hatte ihr Mentor damals gesagt.
    »Es geht hier nicht um deine Interessen, sondern um Gehorsam.«
    Auch an ihrer Neugier würde sie also noch arbeiten müssen.
    »Bist du sicher, dass du es schaffen wirst?«, fragte der Mann.
    »Ich habe jede noch so schwierige Aufgabe angenommen. Und sie alle erfüllt«, sagte die Frau so unterwürfig und doch überzeugend wie möglich. Allerdings hatte sie noch nie allein agieren müssen. Jetzt wurde es Zeit für Phase zwei. Sie spürte, wie ihr Puls beschleunigte. Seit Jahren hatte sie auf diesen Moment hingearbeitet. Jetzt konnte sie endlich zeigen, was in ihr steckte.
    Nachdem sie aufgelegt hatte, lehnte sie sich einen Moment lang an den Stamm einer Robinie und spürte die solide, unbewegliche Masse des Baums in ihrem Rücken. Der Wind fuhr raschelnd durch die Zweige. Ein Lama hatte ihr einmal gesagt, bei jeder Windbö verneigten sich die Blätter vor Dankbarkeit.
    Die Nonne kehrte in den Tempel zurück und sah sich um. Sie würde hier aufräumen, alles wieder an seinen Platz stellen müssen. Doch zunächst tat sie, was jede gute tibetische Nonne getan hätte: Sie kochte Tee und meditierte. Sie musste sich auf die Aufgabe vorbereiten, die vor ihr lag.

Sechsundvierzig
     
     
    16:51 UHR
     
    Es war ein anderer Weg als der vom Vormittag. Immerhin darauf hatten sich Jac und Robbie einigen können: Sie wollten verhindern, dass jemand etwas von dem Zugang zu den Katakomben in ihrem Garten erfuhr. Also hatte Robbie ihnen eine Alternativroute herausgesucht, die bei einem von vielen Kataphilen genutzten Kanaldeckel in einer kleinen Seitenstraße im vierzehnten Arrondissement begann.
    Die drei Amateur-Höhlenforscher hatten gerade ihre Abzweigung in den sechsten Tunnel hinter sich. Es schien feuchter zu sein als am Vormittag. Und noch stiller, wenn das überhaupt möglich war. Die Gerüche wirkten verstörender. Jac fragte sich, ob die Feuchtigkeit sie intensiver machte oder sie selbst sensibler darauf reagierte.
    Auch ihre Nervosität war stärker. Lag es daran, dass die Nonne bei ihnen war? Oder waren es die schmalen Durchgänge und gefluteten Tunnel, die vor ihr lagen, die Kanten, die sie würde überwinden müssen?
    Sie stiegen eine steile, schmale Treppe aus grob behauenen Steinstufen hoch.
    »Das erinnert mich an die Geschichten meiner Familie über die Gebirgshöhlen, in denen sie sich auf der Flucht ins Exil verstecken mussten«, sagte Ani Lodro.
    Jac fiel auf, wie ungeheuer athletisch die zierliche Frau war. Es wirkte umso überraschender, wenn man unter ihrer Jacke die gelbe Kutte sah, die sie in den Stiefelschäften festgesteckt hatte.
    Jac hatte einmal mit ihrem Kamerateam in Tibet nach den Ursprüngen des Shangrila-Mythos geforscht. Auf der Suche nach dem verlorenen

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