Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition)
ärgerlichen Telefonate rückten unter seinem tröstlichen, ruhigen Blick in weite Ferne. Schonbevor Robbie begonnen hatte, sich mit dem Buddhismus zu beschäftigen, war er nachdenklich und viel ausgeglichener gewesen als Jac. Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als den Streit zu beenden und einfach so zu bleiben, wie sie waren: in der gemeinsamen Erinnerung vereint.
»Bist du gekommen, um die Verträge zu unterschreiben?«, fragte sie. »Es geht wirklich nicht anders. Wir müssen verkaufen.«
Dräng ihn doch nicht so.
Jac schrak bei dieser plötzlichen Einmischung zusammen und musste sich beherrschen, sich nicht nach der Stimme ihrer Mutter umzudrehen. Sie hatte gedacht, Audrey sei nicht mehr da.
Fast klang es, als würde Robbie mit einstimmen. »Nicht, Jac. Nicht jetzt.« Er wickelte seine Apfelblüten aus. »Dafür ist später noch Zeit. Können wir jetzt einfach nur wir selbst sein?«
Aber das sind wir schon so lange nicht mehr, dachte Jac.
Als Kinder hatten sie und ihr Bruder genau wie ihr Vater davon geträumt, mit Düften das zu tun, was ein Bildhauer mit einem Felsblock und ein Maler mit seinen Farben tat – sie wollten Poeten sein. Jac hatte diesen Traum aufgegeben, als sie mitbekam, wie teuer ihre Eltern für ihre künstlerischen Ambitionen bezahlten.
Ihr Vater war von der Idee besessen gewesen, einen perfekten Duft zu erschaffen, einen neuen Klassiker, der die Phantasie beflügelte. Seine Entschlossenheit und seine Enttäuschung hatten ihn verbittert. Daran litt die gesamte Familie, vor allem jedoch ihre Mutter. Audrey war eine anerkannte Lyrikerin und hatte selbst mit so starken Dämonen zu kämpfen, dass ihre Kraft nicht ausreichte, um sich gegen die dunklen Seiten ihres Mannes zu wehren. Um ihm zu entkommen, stürzte sie sich in eine zerstörerische Liebesaffäre. Als sie entdeckt wurde und der Konflikt eskalierte, nahm ihre Mutter sich das Leben.
Dein Vater und ich haben aufgegeben. Du hast aufgegeben. Nicht aber Robbie. Er hat nie gezweifelt, und das wird er auch nie.
Jac spürte den Vorwurf, der in diesen Worten lag. Ja, ihre Mutter hatte recht. Jac hatte den Kampf aufgegeben, bevor er überhaupt begonnen hatte. Robbie hatte durchgehalten. Er war fest entschlossen, das Versagen ihres Vaters und das Leid ihrer Mutter wiedergutzumachen.
Und sie allein war dafür verantwortlich, ihn von diesem unsinnigen Vorhaben abzubringen.
Eine verirrte Blüte hing von einem der Zweige herab, die Robbie gerade in die Vase gestellt hatte. Im bläulichen Licht wirkten ihre weißen, rosa überhauchten Blätter lavendelfarben. Jac pflückte sie, beugte sich darüber und atmete ihren Duft.
»Wie hat es ein Mann, der so komplexe, perfekt austarierte Parfüms erschuf, bloß mit einer Frau ausgehalten, die am liebsten diese süßlichen Blüten mochte?«, fragte sie. »Das ist doch fast schon eine Ironie des Schicksals, oder?«
»Wie so vieles zwischen unseren Eltern.«
Robbie zögerte. Atmete tief durch. Dann sagte er leise, als wollte er die Wirkung seiner Worte dämpfen: »Gestern, auf dem Weg zum Flughafen, habe ich Papa besucht.«
Jac antwortete nicht.
Dein Vater hätte Romancier werden sollen. Dann hätte sich seine lebhafte Phantasie vielleicht sogar ausgezahlt. Stattdessen haben seine Wahnvorstellungen das berühmte, altehrwürdige Haus L’Étoile an den Rand des Ruins gebracht.
Audrey lachte. Eine Bitterkeit lag darin, die gar nicht zu der Schönheit, die sie gewesen war, zu ihren leuchtend grünen Augen, ihrem glänzend goldbraunen Haar, den herzförmigen Lippen und den hohen, elegant geschwungenen Wangenknochen passen wollte.
In ihren Grabgesprächen, wie Jac sie insgeheim nannte, nannte Audrey ihren Ehemann nie beim Namen, sagte nie Louis zu ihm. Immer hieß es nur
dein Vater
, als könnte ihn dasweiter von ihr abrücken, als sei die Distanz zwischen den Lebenden und den Toten nicht genug.
Das hatte Jac von ihrer Mutter gelernt: Wenn jemand dich verletzt oder enttäuscht, lösche ihn aus deinem Gedächtnis. Und diese Technik beherrschte sie gut. Sie fragte sich nie, was aus Griffin North geworden war. Stellte sich nie vor, was er gerade tat.
Außer jetzt gerade, wie?
, spottete Audrey.
Aber was soll’s, er war eben nicht gut genug für dich.
Jac und Griffin hatten sich auf dem College kennengelernt. Er war zwei Jahre weiter als sie. Als Jac ihren Master machte, lebte sie zwei Stunden von der Universität entfernt, an der er seine Doktorarbeit schrieb. Jedes zweite Wochenende fuhr er mit
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