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Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition)

Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melisse J. Rose
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dem Auto zu ihr. Jac lag das Autofahren nicht. Sie hatte Angst davor, allein im Wagen zu sitzen. Was, wenn die Schatten der Vergangenheit sie einholten, während sie gerade hinter dem Steuer saß? Also besuchte sie ihn jedes zweite Wochenende mit dem Bus. Um jede Minute mit ihm voll auszukosten, nahm sie am Sonntagabend um sieben den letzten Bus zurück. Jedes Mal vergaß sie, davor noch etwas zu essen, und wenn sie wieder in ihrem Wohnheim war, hatte die Cafeteria geschlossen.
    Eines Abends drückte ihr Griffin, als sie in den Bus steigen wollte, eine braune Papiertüte in die Hand. Unterwegs öffnete sie sie und fand darin ein belegtes Brot, das Griffin in Papier gewickelt und mit einem Haarband verschnürt hatte, das sie bei ihm vergessen haben musste. Auf dieses Band hatte er die Worte geschrieben: »Ich wollte nicht, dass du meinetwegen hungern musst.«
    Ihre Mutter irrte sich. Griffin war sehr wohl gut genug für Jac. Das Problem war, dass er selbst nicht daran glaubte. Deshalb hatte er sie verlassen.
    Jac hatte das Haarband in ihrer Handtasche aufbewahrt, bises ausgefranst war. Dann hatte sie es in ihr Schmuckkästchen gelegt. Sie besaß es immer noch.
    Mit dem Selbstmord ihrer Mutter hatte Jacs Unterricht in Sachen Verlust begonnen. Griffin, ein junger Mann, der sich wie sie für Mythologie begeisterte, nach Wald roch und sie behutsam berührte wie eine unschätzbare Kostbarkeit, war ihre bisher letzte Lektion gewesen.
    Robbie hatte gerade etwas gesagt, ohne dass es zu ihr durchgedrungen war.
    »Entschuldige, was sagtest du?«
    »Ich glaube, die Ärzte unterschätzen, an wie viel er sich erinnern kann.«
    »Klar tun sie das. Du bist ja auch der
comte toujours droit
.« Jac lachte. Diesen Spitznamen, Graf Neunmalklug, hatte sie ihm selbst gegeben, und ihre Eltern und Großeltern hatten ihn übernommen. »Wie sollten die Ärzte auch so viel wissen wie du?«
    Robbie stimmte in ihr Lachen ein. Als Kind hatte er Regeln und Übereinkünfte immer so geändert, dass er recht behielt, was je nach Situation rührend oder nervenaufreibend sein konnte. Als er acht Jahre alt war und sie elf, hatte sie in dem Hof zwischen Wohnhaus und Parfümerie eine aufwendige Zeremonie durchgeführt, ihn mit einem Regenschirm zum Ritter geschlagen und ihm seinen neuen Adelstitel verliehen.
    »Wusste Vater diesmal, wer du bist?«
    »Er weiß eindeutig, dass ich jemand bin, der sich um ihn kümmert.« Robbies Worten war anzuhören, wie sehr sie ihn schmerzten. »Aber ich bin nicht sicher, ob er mich als seinen Sohn erkennt.«
    Jac wollte es nicht hören. Dies Bild, das Robbie von ihrem Vater zeichnete, würde sie tagelang verfolgen, würde den Schutzwall untergraben, den sie errichtet hatte.
    »Obwohl er so viel vergessen hat, weiß er immer noch Rezepturenauswendig und erklärt mir die kleinen Tricks, die beim Anmischen wichtig sind«, fuhr Robbie fort. »Er kann nicht mehr lesen, aber er weiß noch genau, wie viele Tropfen Rose Absolue man mit wie viel Vanille-Essenz mischen muss. Und jedes Mal, wenn er von seinen Rezepturen spricht, sagt er: ›Mach eine Extraportion davon für Jac.‹« Robbie lächelte sein großzügiges Lächeln. Diese Freundlichkeit war seine beste Charaktereigenschaft. Doch sosehr Jac ihn dafür bewunderte, wie er jeden von seiner besten Seite sah, sosehr ärgerte es sie, wenn es um ihren Vater ging. Er war ein egozentrischer Mensch, der ihr unerträgliches Leid verursacht hatte.
    »Können wir nicht von etwas anderem reden?«, fragte sie.
    »Aber wir müssen uns über ihn unterhalten.«
    Jac schüttelte den Kopf. »Nicht hier und jetzt. Das kommt mir so respektlos vor.«
    »Unserer Mutter gegenüber?«, fragte Robbie verblüfft.
    »Ja, ihr gegenüber.«
    »Jac, sie hört uns doch gar nicht.«
    »Danke, dass du mich daran erinnerst. Also gut. Erzähl weiter. Vater weiß nicht mehr, wer du bist, aber an meinen Namen erinnert er sich …«
    »Ich muss wirklich mit dir darüber reden.«
    Jac atmete tief durch. »Okay, tut mir leid. Erzähl.«
    »Manchmal sieht er aus, als würde er versuchen, alle seine Synapsen auf einmal zum Feuern zu bringen. Als ob er seine gesamte Konzentration dafür aufbringt, einen klaren Gedanken zu fassen. Und manchmal schafft er es einen Moment lang. Aber wenn er scheitert, leidet er. Manchmal weint er, Jac.« Die letzten Worte flüsterte er nur noch.
    Jac schwieg. Dass ihr harter, fordernder Vater in Tränen ausbrach, konnte sie sich nicht vorstellen. »Ich wünschte, du müsstest das

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