Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition)
einmal als Thot, der sein eigenes Gift trinken musste.
»Na und?«, fragte Jac.
Doch in der Kapelle blieb es still. Nur der Geruch nach Trauer und Gebeten war noch da.
Jac ließ die Ereignisse noch einmal Revue passieren. Zwei Mal schon war er ihretwegen gestorben. Und jetzt war Griffin fast noch einmal für sie in den Tod gegangen. Wenn es Reinkarnationen wirklich gab und sie einander wirklich seit mehreren Leben kannten, dann waren sie in einer karmischen Endlosschleife gefangen.
Zwei Mal war sie seine Geliebte geworden, obwohl sie nicht frei füreinander waren.
Zwei Mal hatte es ihn das Leben gekostet.
Als Jac in Griffins Zimmer zurückkam, hatte er sein Telefonat beendet.
»Wie geht es Elsie?«, fragte sie.
»Sie sind gerade in Paris gelandet. In einer Stunde werden sie hier sein.«
Jac presste ihre Handtasche an sich.
»Elsie wird sich so freuen, dich zu sehen. Und es wird dir guttun, sie bei dir zu haben.«
Griffin nickte und wollte etwas sagen.
Jac ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Ich gehe jetzt besser …« Sie klammerte sich an ihrer Handtasche fest. Jac liebte diesen Mann. Sie wollte mit ihm zusammen sein. Doch sie wusste, was sie zu tun hatte. »Ich denke, ich sollte …« Sie stockte. Wie sollte sie sich je von ihm verabschieden?
Sie starrte Griffin in die Augen und versuchte, es ohne Worte zu sagen. Aber es gelang ihr nicht.
»Danke für alles. Danke, dass du Robbie und mir geholfenhast. Dass du mir das Leben gerettet hast. Ich kann gar nicht …« Ihre Stimme schwankte. Sie hörte, wie unter ihrem krampfhaften Griff eins der Bläschen in der Plastikfolie platzte. »Geh zurück zu deiner Frau und deiner Tochter, Griffin. Du hast selbst gesagt, dass du nicht weißt, ob es wirklich vorbei ist. Gib dem Ganzen noch eine Chance.«
»Aber …«
Jac wusste, was er sagen wollte, und unterbrach ihn. Sie wollte es nicht hören.
»Solange ich hier bin, wirst du es nicht schaffen, dir alles noch einmal zu überlegen. Aber das musst du. Nicht nur Elsie und deiner Frau zuliebe. Auch um deinetwillen, Griffin.« Jac wollte seine Hand ergreifen und in ihrer eigenen fühlen, doch wenn sie das tat, würde sie nie wieder loslassen, das wusste sie.
»Ciao«, flüsterte Jac. Sie hatte Griffin ihr Leben zu verdanken. Jetzt musste sie ihm die Chance geben, sein eigenes zu retten.
Vierundsechzig
MONTAG, 30. MAI, 14:00 UHR
Das Zimmer war sonnig und hell und mit Möbeln, Büchern und Kunstwerken aus der Rue des Saints-Pères eingerichtet. Jacs Vater saß in einem Ledersessel am Fenster, Claire neben ihm.
Es überraschte Jac, wie hübsch die kleine Wohnung war und was für einen schönen Ausblick ins Grüne man von hier hatte. Wie gut es roch und wie entspannt ihr Vater wirkte.
Er drehte sich um, sah ihr entgegen und versuchte offenbar, sie irgendwie einzuordnen, doch es gelang ihm nicht. Er erkannte sie nicht.
»Hallo«, sagte Claire leise. »Schön, dass du gekommen bist. Ist Robbie auch da?«
»Er wartet im Wagen.«
»Dann unterhalte ich mich ein bisschen mit ihm und lasse dich in Ruhe mit deinem Vater reden.«
Jac hätte sie am liebsten aufgehalten. Ihr war nicht wohl bei dem Gedanken, mit ihm allein zu sein.
Als Claire gegangen war, setzte sich Jac auf ihren Platz. Ihr Vater wirkte nicht so gebrechlich, wie sie erwartet hatte. Er sah aus wie immer, nicht so, als habe er sich selbst verloren, auch wenn er für Jac verloren war. Doch daran war sie gewöhnt. Seit dem Tod ihrer Mutter hatte er ihre Nähe gemieden. Einer ihrerTherapeuten hatte damals vermutet, dass Jac ihn zu sehr an die Frau erinnerte, die er nicht hatte beschützen können. Doch solche Begründungen nützten ihr nichts. Die Konsequenzen waren viel zu schmerzhaft.
»Vater, ich bin es, Jac«, sagte sie.
»Jac?« Es klang, als hätte er den Namen noch nie gehört. »Es tut mir leid, aber ich kann mir manches nicht mehr so gut merken. Woher kennen wir uns?«
Jac öffnete ihre Handtasche, holte das kleine Päckchen heraus und wickelte es aus. Sie hatte Robbie erzählt, was sie vorhatte, und er war einverstanden gewesen. Sie hatten sich die Schriftrolle angesehen. Darin stand alles, was Jacs Bruder brauchte, um an dem Duft zu arbeiten, auch die Liste der Ingredienzien. Bei ihren Internetrecherchen waren sie jedoch auf ein Problem gestoßen: Eine der Hauptzutaten gab es nicht mehr. Kleopatras Duftpflanzenhaine, in denen auch das Afarsemon wuchs, waren den Ägyptern so kostbar erschienen, dass sie sie lieber niedergebrannt
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