Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition)
sich dennoch die ursprüngliche Freude ihres jüngeren Selbst bewahrten. Wenn man jeden Augenblick bewusst erlebte, nahm die Erschöpfung nicht so leicht überhand.
»Meine Probleme sind eher praktischer Natur. Privatschulbildung kostet ein Vermögen. Ganz zu schweigen von einer Scheidung.«
»Scheidung?« Robbie streckte seinen Arm nach Griffin aus, um ihn anzuhalten. Im warmen Lampenlicht sah er die Trauer im Blick seines Freundes. »Also geht es tatsächlich um deine Seele. Es tut mir so leid. Seid ihr sicher?«
»Nein, eigentlich nicht. Formell sind wir schon ziemlich weit fortgeschritten, aber wir machen uns beide solche Sorgen um unsere Tochter und darum, was es bei ihr anrichten könnte, dass wir beschlossen haben, noch ein paar Monate ins Land gehen zu lassen, bevor wir alles unterschreiben. Da ist keine Feindschaft zwischen uns. Nur Leere. Solange ich hier bin,wohne ich unten in der kleinen Wohnung, die wir sonst immer vermietet haben.«
»Wann bist du wieder bei der Ausgrabung?«
»Erst im Herbst.«
Seit seinem Abschluss arbeitete Griffin in einer Ausgrabungsstätte hundertsechsundachtzig Kilometer westlich von Alexandria daran, die Gräber von Königin Kleopatra und Mark Anton ausfindig zu machen. Daneben hatte er ein Buch veröffentlicht und unterrichtete im Herbst immer an der New York University. Jetzt hatte er wegen der Trennung beschlossen, die Rückkehr nach Ägypten zu verschieben, und erforschte für die Phoenix Foundation die Ursprünge der Lehre von der Wiedergeburt im antiken Griechenland und die Wege ihrer Verbreitung.
Auch die alten Ägypter glaubten an ein Leben nach dem Tod, nicht jedoch an eine Rückkehr der Toten auf die Erde. Dennoch hatte Griffin in der Grabungsstätte westlich von Alexandria Hieroglyphen gefunden, die darauf hinzudeuten schienen, dass die griechische Vorstellung von der Seelenwanderung zur Zeit der Ptolemäer schon in Ägypten Fuß gefasst hatte. Dem ging er nach und versuchte nachzuvollziehen, welchen Einfluss sie auf die religiösen Praktiken genommen hatte.
»Also könnt Therese und du euch im Augenblick näher sein, wenn ihr einander fern bleibt?«
Griffin runzelte die Stirn über Robbies Frage. »Ganz der allwissende Psychologe«, sagte er.
»Ich hoffe, ihr findet die richtige Lösung.« Robbie hatte keine Ratschläge anzubieten. Sein eigenes Beziehungsleben war alles andere als konventionell. Seine Partnerschaften – mit Männern wie mit Frauen – endeten stets, wie sie begonnen hatten: als Freundschaften. Er verließ nie jemanden. Seine Leidenschaft mochte nachlassen, nicht aber seine Zuneigung. Er kümmerte sich um jene, die ihm etwas bedeuteten, und blieb ihnen nah.Nur eine Beziehung – zu einer Frau, die er bei einem Retreat kennengelernt hatte – ließ ihn nicht los und bedrückte ihn. Sie war die einzige Liebe, die er verloren hatte.
Griffin öffnete eine der Türen im Gang. »Tritt ein.«
Robbie sah sich um. In jedem Winkel des Raums, auf jedem Regal und jeder Tischplatte glänzten Gold und Silber, Bronze und Kupfer, schimmerten sanfte Lichtreflexe und Kristalle.
»Was ist denn das? Ali Babas Schatzhöhle?«
»So ähnlich. Es ist Talmages Kuriositätenkabinett. Mein Lieblingsraum hier im Institut. Trevor Talmage war 1847 zusammen mit Henry David Thoreau, Walt Whitman, Frederick Law Olmsted und anderen bekannten Anhängern des Transzendentalismus einer der Gründer des Phoenix Clubs. Sein oberstes Ziel, das Streben nach Wissen und Aufklärung, hat ihn dazu bewogen, diese Sammlung anzufangen. Ich nutze den Raum als Arbeitszimmer, solange ich hier bin.« Er deutete auf einen Schreibtisch an der Wand zwischen den Buntglasfenstern, auf dem stapelweise Bücher und ein Laptop lagen.
»Es gibt eine riesige Bibliothek, aber die ist unterirdisch und viel zu steril, also nehme ich mir so viel Lektüre wie möglich nach hier oben mit«, sagte Griffin. »Komm, ich zeige dir ein paar besonders schöne Stücke.«
Der Raum war, wie die Bibliothek in Robbies Elternhaus in Paris, mit Walnussholz vertäfelt. An den Wänden standen exquisit gearbeitete Glasvitrinen. In einer davon entdeckte Robbie silberne und goldene Trinkgefäße in der Form menschlicher Gesichter mit beunruhigend realistischen gläsernen Augen. Eine andere enthielt einen vergoldeten Vogelbauer mit einem bronzenen Baum in Inneren. Winzige Vögel aus Türkis und Onyx, Malachit und Amethyst hockten zwischen Blättern aus Jade. So lebensecht wirkten sie, als könnten sie jeden Moment
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