Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition)
die Zukunft L’Étoiles für die nächste Generation gesichert. Doch sie hielten nicht zusammen, und das altehrwürdige Haus L’Étoile war in Gefahr.
Zumindest war er jetzt endlich in New York. Und die Zeit war reif für seinen besonderen Ansatz, das wusste er. Für harmonische, zurückhaltende Parfüms, die, wie der Zen-Buddhismus, auf natürlichen Harmonien aufbauten. Seine Kreationen verbreiteten einen Hauch von Spiritualität, von Meditation und tiefer Verbundenheit. Jemand würde sich dafür begeistern.
Und vielleicht war auch die Zeit gekommen, das Rätsel eines alten Parfüms zu lösen, das sich für das Haus L’Étoile als noch viel wichtiger erweisen konnte.
Robbie verharrte einen Augenblick vor der großen hölzernen Eingangstür und betrachtete das Flachrelief eines riesigen Vogels, der sich, ein Schwert mit den Krallen umklammernd, aus einem lodernden Feuer erhob. Auf einer der Tonscherben war ein ähnlicher Vogel abgebildet. Robbie widerstand der Versuchung, die Fotografien aus seinem Aktenkoffer hervorzuholen, um die beiden Phönixe sofort zu vergleichen, und drückte den Klingelknopf.
Kurz darauf summte es, und Robbie öffnete die Tür. Dahinter sah es aus, als sei die Zeit stehengeblieben. Die gesamte Einrichtung stammte aus dem neunzehnten Jahrhundert. Ein Buntglas-Kronleuchter zeichnete zarte blaue und grüne Farbreflexe auf den schwarz-weiß gemusterten Marmorboden.
»Sie wünschen bitte?« Eine Empfangsdame bedeutete ihm näherzutreten.
»Ich habe einen Termin mit Griffin North.«
»Ah, Monsieur L’Étoile. Er wird gleich hier sein.«
Während er wartete, bewunderte Robbie weiter die Einrichtung. Er vermutete, dass die Zierleisten, die die Zimmerdecken gliederten und den Abschluss der herbstfarbenenJugendstiltapeten bildeten, Originale waren, doch in Amerika konnte man nie wissen. Es war falsch, im Namen der Zukunft alles Alte zu zerstören. Wichtige Lektionen gingen damit verloren. Wie beim Kreieren von Parfüms kam es auch beim Bewahren der menschlichen Zivilisation auf die richtige Mischung an.
»Robbie. Wie schön, dich zu sehen«, rief Griffin, als er hereinkam.
Die Männer umarmten sich, wie es in Frankreich üblich war, und küssten sich auf die Wangen.
Als er und Jac gerade zusammengekommen waren, hatte Griffin die Geschwister einmal zu ihrer Großmutter nach Grasse begleitet. Robbie war dreizehn und bewunderte den neunzehnjährigen Amerikaner maßlos, der so viel über die Geschichte der Region zu erzählen wusste. Zu dritt besuchten sie Dutzende römische Ruinen und erforschten die Überreste der versunkenen Epoche. Durch die Überlieferungen der Katharer, von denen Griffin wusste, dass sie im zwölften und dreizehnten Jahrhundert bis zu ihrer Vernichtung durch die Inquisition in diesem Hügelland gelebt hatten, kam Robbie erstmals mit der Vorstellung der Reinkarnation in Kontakt – eine Vorstellung, die ihn später zum Buddhismus führte und sein Leben veränderte.
Robbie besah sich seinen Freund. In Griffins dichtem, gewelltem Haar zeigten sich erste graue Strähnen, und um seinen Mund hatten sich Falten eingegraben, doch seine graublauen Augen mit den leicht gehobenen Brauen blickten ihn wissbegierig wie immer an. Griffin hatte schon immer intelligent gewirkt, ohne herablassend zu sein, und selbstbewusst ohne jede Arroganz.
Er hatte es nie leicht gehabt. Als Griffin mit der Highschool begonnen hatte, war sein Vater, ein unheilbarer Spieler, zum wiederholten und letzten Mal verschwunden. Er hatte der Familienichts als offene Rechnungen und eine neu aufgenommene Hypothek hinterlassen, die seine Frau mit ihrem Einkommen nicht tilgen konnte. Griffin finanzierte sich seine Jahre am College und an der Uni selbst und wurde Archäologe. Seine Trauer verwandelte sich in Entschlossenheit, die Einsamkeit in Arbeitseifer. Jede Entdeckung, jede neue Errungenschaft entfernte ihn einen Schritt weiter vom Schicksal seines Vaters.
»Es ist viel zu lange her«, sagte Griffin und führte seinen Freund einen von Buntglas-Wandleuchten erhellten Flur entlang. »Mindestens sechs Jahre, glaube ich.«
»Neun Jahre. Du musst eben öfter nach Paris kommen.«
»Da hast du recht. Ich arbeite einfach zu viel.«
»Zu viel Kopf und zu wenig Seele?«
Robbie glaubte, dass genau das auch Jacs größtes Problem war. Wenn er sich die anderen Adepten des
Zazen
, der Sitzmeditation, und seine Lamas anschaute, hatte er den Eindruck, dass sie die Nöte und Leiden des Lebens kennengelernt hatten und
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