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Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition)

Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melisse J. Rose
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1793
     
    Marie-Geneviève Moreau stand in der prallen Sonne und spürte, wie ihr der Schweiß über den Rücken lief. Trotz der Schönheit der Landschaft umgab sie ein grauenvoller Anblick. Hieronymus Boschs verrenkte, von innen nach außen gekehrte Höllenszenerie. Das war es, was sie durchlebte.
    »Jetzt du.« Der Soldat mit der Warze auf der Nase zog sie zu sich heran. Sein Gefährte, ein stämmiger Kerl mit einer schreiend roten Narbe am Kinn, der nach Zahnfäule stank, riss ihr den Habit herunter, wie er es schon bei den anderen getan hatte. Dann nahm er ihr die Unterwäsche ab. Sie bedeckte ihre Brüste, doch das Dreieck zwischen ihren Beinen blieb nackt. Sie hatte nicht genug Hände für ihre Blößen. Marie versuchte, den Männern den Rücken zuzukehren, doch das ließen sie nicht zu.
    »Verdirb uns nicht die schöne Aussicht, Schwester«, lachte der stinkende Mann und riss sie herum. Der andere betatschte mit seinen schmutzigen Händen ihre Brüste.
    »Du hast hoffentlich nicht geglaubt, dass du als Jungfrau vor den Schöpfer trittst.« Er stieß sie zu Boden und knöpfte sich die Hosen auf. »Das hier kriegst du im Kloster nicht geboten, was?«
    Marie-Geneviève zwang ihre Gedanken so weit fort sie es vermochte, als das Ungeheuer sich auf sie warf. Zumindestkonnte er ihr nicht die Jungfräulichkeit rauben. Das nicht. Sie hatte sich freiwillig jemandem hingegeben, der dessen wert gewesen war.
    Ihr Vergewaltiger war ungeschickt und bösartig, und sein Gestank widerte sie an, doch zumindest war es schnell vorüber. Als er fertig war, wappnete sich Marie gegen den Angriff seines Gefährten, der jedoch nicht kam.
    Sie wurde auf die Füße gestellt und fühlte plötzlich kühle, glatte Haut, so nackt wie ihre eigene, an ihrem Rücken. An den Fersen, dem Gesäß, den Schultern. Doch dieser Mann bedrängte und betatschte sie nicht. Er betete. Marie-Geneviève, die nicht wegen ihrer Liebe zu Gott, sondern wegen ihrer Liebe zu einem Mann in den Orden eingetreten war, lauschte seinen leisen Worten.
    »Bete mit mir, mein Kind«, sagte der Priester, als der Soldat ihre Leiber noch fester gegeneinander stieß. »Vater unser im Himmel …«
    Wenn es ihr nur gelänge, sich von der Gegenwart zu lösen, wie sie es manchmal während der Messe tat – die gesungenen Worte nicht mehr zu hören, sondern sich von ihrer Melodie forttragen zu lassen –, dann könnte sie einen Zustand erreichen, in dem sie träumend ihren Körper hinter sich ließ. Sie wusste nicht, wie sie diese Zustände, diese geistigen Fluchten nennen sollte, und erzählte den anderen Schwestern nichts davon. Sie war nicht sicher, ob diese Fähigkeit in den Augen der anderen ein Fluch oder ein Segen war.
    Der Soldat mit dem Mundgeruch schlang ein Seil um die Handgelenke seiner Opfer und band sie aneinander fest. Also stimmte es, was man sich erzählte. Sie verschleppten Nonnen und Priester an den Fluss, banden sie aneinander, folterten und töteten sie.
    »So, Abmarsch«, feixte der Soldat und versetzte Marie einen Stoß. »Zeit für eine kleine Bootsfahrt.« Er wies auf das Ufer.
    Es war nicht leicht, aneinandergefesselt zu laufen, doch Marie-Geneviève und der Priester schafften es, ohne hinzufallen.
    »Wie heißt du, Schwester?«, fragte der Priester.
    Sie wollte antworten, aber der Soldat ohrfeigte sie. »Vorwärts, weiter!«, bellte er. »Genug geschwatzt.«
    Das ganze Tal war von Weinen und Geschrei erfüllt. Und dennoch nahm Marie-Geneviève auch tröstliche Gebete und Vogelgezwitscher wahr.
    Ihre Henker – denn genau das waren sie zweifellos – schubsten sie und den Priester in eine hölzerne Barke. Er fiel auf das Gesicht und schrie vor Schmerz, während sie sich nur den Hinterkopf stieß.
    Lachend schoben die Soldaten den Kahn auf den Fluss hinaus. Die starke Strömung riss ihn mit sich fort. Für wenige Augenblicke keimte in der jungen Nonne Hoffnung auf. Vielleicht konnte es ihnen gelingen, ihre Fesseln zu lösen. Vielleicht würden sie ans Ufer getrieben. Dann jedoch sah sie, wie rasch sich das Boot mit Wasser füllte.
    Kurz nachdem die Nachricht von Giles’ Tod überbracht worden war, hatte Vater Moreau eine neue Ehe arrangiert. Marie-Geneviève hatte ihn angefleht, ihr Zeit zu geben, Zeit zu trauern und sich an den Gedanken zu gewöhnen. Doch Albert Moreau war ein Geschäftsmann. Wenn der Sohn seines besten Kunden nicht mehr zur Verfügung stand, dann musste es eben der zweitbeste Kunde sein, der das zweitbeste Leder von ihm kaufte.
    Dieser

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