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Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition)

Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melisse J. Rose
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lebendigem Leib. Spätabends klopfte es an die Tür. Als meine Großmutter öffnete, stand ein Mönch davor. Er war sehr klein und dürr, nur sein Lächeln war groß. Trotz des Unwetters war er so bekleidet, wie ich es jetzt bin, und schien sich keinesfalls unwohl zu fühlen. Er war barfuß.« Die Nonne unterbrach sich, um an ihrem Tee zu nippen.Griffin hatte im Laufe seines Lebens immer wieder talentierte Geschichtenerzähler kennengelernt, denen es gelang, ihr Publikum mit ihrem festen Blick und ihrer ausdrucksvollen Stimme in den Bann zu schlagen. Diese Frau gehörte definitiv dazu.
    »Der Mönch setzte sich neben die Schlafstelle meines Großvaters und blieb dort bis zum Morgengrauen. Den Rest der Familie bat er, schlafen zu gehen, sogar meine Großmutter. Sie wollte nicht gehorchen, doch schließlich sah sie ein, dass sie sich ausruhen musste. Sie sind ein intelligenter Mann, Monsieur North, also ahnen Sie sicher, worauf ich mit dieser Geschichte hinauswill. Am nächsten Morgen ging es meinem Großvater besser. Es sollte noch ein paar Tage dauern, bis er wieder bei Kräften war, doch das Fieber war abgeklungen, und er war außer Lebensgefahr. Der Mönch wollte von der Familie nichts weiter annehmen als eine Tasse Buttertee. Dann ging er wieder in den Schneesturm hinaus. Er habe seinen Auftrag erfüllt, sagte er. Sechs Monate darauf besuchte meine Familie meinen Großonkel im Kloster. Als sie dort ankamen, fragte mein Großonkel gleich als Erstes, ob sich mein Großvater gut von seiner Krankheit erholt habe. Mein Großvater fragte zurück, woher er wüsste, dass er krank gewesen sei. ›Ich habe davon geträumt‹, sagte mein Großonkel. ›So stark ist die Verbindung zwischen uns.‹ Mein Großvater und seine Familie staunten«, erzählte die Nonne. »Sie hatten von der Macht der Träume gehört, doch erst jetzt hatten sie den Beweis.«
    Bevor sie fortfuhr, füllte die Nonne die Teetassen auf. »Mein Großvater glaubte seinem Bruder sofort, dass er im Traum von seiner Krankheit erfahren hatte, und wollte den Mönch kennenlernen, den der Bruder zu ihm geschickt hatte, um sich bei dem heiligen Mann zu bedanken. Doch mein Großonkel erinnerte ihn daran, dass es zu der Zeit tiefster Winter gewesen war und niemand in der Lage gewesen wäre, das Gebirgezu durchqueren. Eine Tulpa hatte meinen Großvater besucht, eines jener Wesen, die entstehen, wenn ein besonders disziplinierter Mönch seinen Visionen durch pure Willenskraft physische Realität verleiht.«
    »Und sind Sie auch so diszipliniert? Können Sie solche Gestalten erschaffen?«
    »Leider bin ich noch nicht so weit. Aber mein Lehrer. Tai Yonten Rinpoche stammt aus einer der ältesten Linien reinkarnierter Lamas.«
    »Und Sie wollen mir ernsthaft sagen, dass Ihr Lehrer eine Tulpa erschaffen hat, die Sie über unsere Pläne auf dem Laufenden hält?«
    »Ja.«
    »Oder war es einfach naheliegend, dass die Schwester eines vermissten Mannes auf die Idee kommen könnte, ihn zu suchen?« Griffin leerte seine Tasse mit einem Schluck. »Wie wollen Sie uns denn helfen? Wollen Sie die Tulpa damit beauftragen, Robbie zu finden?«
    »Sie können daran glauben oder nicht, ganz wie Sie möchten. Aber die westliche Logik hat enge Grenzen. Sie scheinen ein Zyniker zu sein.«
    »Ich bin kein Zyniker. Ich bin Wissenschaftler. Ich glaube an Tonscherben und Ruinen, die ich katalogisieren und analysieren kann.«
    »Die Sie zu Staub unter unseren Füßen machen statt zu Leitgestirnen am Himmel.«
    »Ein hübsches Bild.« Er hatte nicht vorgehabt, sarkastisch zu werden, doch wie seine Frau so gern betonte, war Sarkasmus seine typische Verteidigungshaltung, wenn er unsicher wurde.
    Mit undurchdringlichem Ausdruck sah die Nonne Griffin fest in die Augen. »Wir glauben, dass Ihr Freund lebt und Schwierigkeiten mit der Polizei hat. Dass er es vermeiden will,verhaftet zu werden, bevor er sich wie vereinbart mit Seiner Heiligkeit treffen und ihm die Tonscherben überreichen kann.«
    Griffin stutzte. »Dann hat Robbie schon einen festen Termin beim Dalai Lama?«
    »Allerdings. Er hat nur noch auf unsere Bestätigung und auf die Details dazu gewartet, wo das Treffen stattfinden soll. Bevor wir es ihm mitteilen konnten, ist er verschwunden. Wir wissen – und er weiß es vermutlich auch –, dass die chinesischen Nationalisten alles daransetzen werden, dieses Treffen zu verhindern. Selbst wenn Sie oder Monsieur L’Étoiles Schwester ihn finden, wird er zuallererst mit mir sprechen wollen,

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