Das Haus der verlorenen Düfte: Roman (German Edition)
Landschaftspark bestimmt ein beliebter Treffpunkt, doch jetzt begegnete er auf weiten Strecken keiner Menschenseele.
Plötzlich brach ein riesiger schwarzer Hund aus dem Nebel hervor und raste auf ihn zu. Ein ganzes Rudel folgte. Sekunden später war er von Hunden umzingelt, die ihn beschnüffelten und knurrend die Zähne bleckten.
Griffin wusste, dass er es mit einem ganzen Rudel Hunde nicht aufnehmen konnte, also hielt er so still wie möglich und bereitete sich innerlich auf einen Angriff vor. Doch wenige Augenblicke später schien das Leittier das Interesse zu verlieren. Der Hund wandte sich ab, und mit ihm verschwand das Rudelwieder im Dunst. Erst als sie weg waren, merkte Griffin, wie sein Herz raste.
Wenn er gewusst hätte, wie riesig der Stadtwald war, wie lange es dauerte, dort hinzugelangen, und wie einsam es hier war, hätte er einen anderen Treffpunkt vorgeschlagen. Doch der Lama hatte am Telefon nicht viel erklärt, außer dass er ein Freund von Robbie war und mit ihm sprechen wollte. Und er hatte sich Diskretion erbeten.
Griffin hätte gern gefragt, woher er seine Telefonnummer hatte, der Lama hatte jedoch zu schnell aufgelegt. Es war kein Geheimnis, dass Griffin hier in Paris an einem altägyptischen Artefakt arbeitete. Robbie hatte ein paar Tagen zuvor die Christie’s-Kuratorin zu einem gemeinsamen Abendessen eingeladen. So etwas sprach sich im kleinen Kreis der Archäologen schnell herum. Und vielleicht hatte Robbie selbst dem Lama von dem Gespräch mit der Kuratorin erzählt.
Am Ufer des Lac Daumesnil fand Griffin endlich den Tempel, nach dem er suchte, und ging hinein. Vor ihm ragte eine mindestens acht Meter hohe goldene Buddhastatue auf. Sie beeindruckte Griffin so sehr, dass er die safrangelb gekleidete buddhistische Nonne zu ihren Füßen nicht gleich bemerkte.
»Mr. North, ich danke Ihnen, dass Sie so pünktlich sind«, sagte sie. Griffin fuhr zusammen. Die Nonne reichte ihm lächelnd die Hand. »Mein Name Ani Lodro.«
»Ich bin mit dem Lama verabredet. Ist er hier?«
»Der Lama lässt sich entschuldigen. Er ist leider verhindert und hat mich gebeten, das Gespräch mich Ihnen zu führen.«
Griffin nickte.
»Die Zeit drängt.« Die sehnige, kahlgeschorene Frau bot Griffin das Sitzkissen neben sich an. »Bitte setzen Sie sich doch.«
Aromatischer Rauch zog durch den Tempel, und Votivkerzen flackerten in roten, gläsernen Haltern.
»Ich komme mir gerade vor, als wäre ich nicht mehr in Frankreich, sondern in Indien«, sagte Griffin und setzte sich.
»Ja, es ist fast wie zu Hause. Es tut den Unsrigen gut, hier Rast zu machen und zu meditieren.«
»Dann sind Sie aus Indien?« Ihre Gesichtszüge schienen nicht recht dorthin zu passen. Sie war zu zierlich, ihre Augen zu schmal, und ihre Haut schimmerte gelblich.
Sie nickte. »Mehr oder weniger. Fast alle, die Seiner Heiligkeit ins Exil gefolgt sind, leben jetzt in McLeod Ganj in Indien. Es sind mehr als hunderttausend.«
»Sie sind wohl kaum alt genug, um 1959 aus Tibet geflohen zu sein«, bemerkte Griffin überrascht. Die Nonne sah aus wie Ende zwanzig.
»Meine Vorfahren sind ihm nach Indien gefolgt. Meine Hülle ist erst achtundzwanzig Jahre alt.«
Griffin hatte oft mit Buddhisten gesprochen, die den Körper als bloßen Wirt ihrer wiedergeborenen Seelen ansahen.
Meine Hülle
– wie diese Frau den Gedanken ausdrückte, hatte etwas Faszinierendes an sich.
»Lassen Sie mich erklären, warum wir Ihnen den weiten Weg zugemutet haben. Wir gehen davon aus, dass Sie ebenso um Monsieur L’Étoile besorgt sind wie wir.«
»Ja, natürlich.«
»Seine Heiligkeit hat sich bereits darauf gefreut, bei seinem Besuch in Paris seine Bekanntschaft zu machen«, sagte die Nonne. »Als wir in der Zeitung lasen, dass er vermisst wird, haben wir uns daher große Sorgen gemacht. Haben Sie das antike Artefakt gesehen, bevor Monsieur L’Étoile verschwunden ist?«
Also hatte Robbie tatsächlich den Lama auf dem Laufenden gehalten. »Ja, ich habe mich mehrere Tage lang damit befasst.«
»Und haben Sie die Übersetzung fertigstellen können?«
»Nicht ganz. Es gibt ganze Satzteile und inhaltliche Nuancen, die ich nicht ermitteln konnte.«
»Und deutet das, was Sie herausgefunden haben, darauf hin, dass der im Tiegel enthaltene Duftstoff dazu diente, sich an vergangene Leben zu erinnern?«
»Gewissermaßen. Es geht in dem Text darum, eine geliebte Person aus dem letzten Leben wiederzufinden. Einen Seelenverwandten.«
»Das ist interessant, wenn
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