Das Haus der verlorenen Herzen
Sessel mit dicken Polstern standen um den Pool herum. Die Markise war hochgezogen.
»Ein Märchen!« sagte Dr. Volkmar mit gepreßter Stimme. »Ich wußte gar nicht, daß es so riesige Betten gibt.«
»Auch in bezug auf individuelle Unterhaltung sind die Wünsche unserer Gäste jederzeit erfüllbar, Sir.«
»Aha! Das haben Sie mit unnachahmlicher britischer Eleganz gesagt, Worthlow. Aber ich bedanke mich schon jetzt.«
Worthlow machte eine Verbeugung und entfernte sich mit gemessenem Schritt. Die Tür zu der riesigen Halle verschloß er lautlos. Dr. Volkmar stand unschlüssig herum. Er war allein, wartete, ob nicht doch wieder Gallezzo erscheinen würde, aber anscheinend hielt man es für richtiger, ihn zunächst mit seinen Eindrücken und Gedanken allein zu lassen. Auch ein Mensch wie Volkmar brauchte Zeit, um eine solche Umgebung zu verkraften.
Er ging zur Bar und fand sie – wie konnte es anders sein – vollkommen eingerichtet. Es fehlte nichts. Auf einen Knopfdruck spuckte ein amerikanischer Würfeleishersteller genau die Menge Eisstückchen aus, die man für einen Cocktail oder einen Longdrink brauchte. In einem Kaffeeautomaten kochte das Wasser.
Volkmar entschloß sich, ganz bieder einen Wodka mit Bitter Lemon zu mixen, tat noch einmal einen Schuß Wodka dazu und setzte sich in einen der tiefen, mit afrikanischer Brokatstickerei bezogenen Sessel. Langsam trank er den Wodka-Bitter Lemon, und wenn er auch kein Trinker war, so fühlte er doch plötzlich, wie die ersten Schlucke eine gewisse innere Verkrampfung lösten. Er wurde sich über seine Lage klar: Man hatte ihn in das luxuriöseste Gefängnis eingeliefert, das sich denken ließ. Ein Palast als Käfig.
Aber warum? Ein Dr. Soriano hatte es nicht nötig, gegen eine lächerliche Summe einen entführten deutschen Arzt auszutauschen. Was man für einen Dr. Volkmar im Notfall bezahlen würde, war weniger, als der Swimming-pool gekostet hatte. Es war ein Geschäft, das eines Dr. Soriano unwürdig war.
Warum also?
Volkmar erhob sich, ließ das Eis im Glas klingeln und besichtigte das Gästehaus. Neben der Stereoanlage stand ein geschnitzter Kasten voller Musikkassetten. Er wählte das Klavierkonzert Nr. 1 von Beethoven aus, gespielt von Swjatoslaw Richter, setzte sich an den Rand des Pools und versuchte, Ordnung in seine Gedanken zu bekommen.
Welches Interesse konnte die Mafia an einem deutschen Arzt haben? Wenn Dr. Soriano krank sein sollte – die besten Ärzte der Welt standen ihm zur Verfügung. Mit seinem eigenen Jet konnte er sie von allen Ecken der Welt nach Palermo holen. Das Honorar spielte keine Rolle. Mußte es ausgerechnet ein deutscher Chirurg sein, der reichlich utopisch anmutende Forschungen und Experimente auf dem Gebiet der Transplantationen unternahm?
Dr. Volkmar fand keine Antwort auf seine vielen Fragen. Er resignierte vorläufig, legte sich auf das Bett, auf die weiche weiße Nerzdecke, und versuchte zu schlafen.
Es war das erste Mal, daß Beethovens Klavierkonzert wie ein Schlafmittel auf ihn wirkte.
Er war ausgeschlafen, hatte gründlich geschwommen, hatte an der Mauer des Dachgartens über das Meer geblickt, war am Morgen noch einmal durch ›sein‹ Haus gegangen und noch mehr als in der Nacht überwältigt worden von diesem harmonischen Einklang von Architektur und Einrichtung.
Mr. Worthlow erschien, nachdem die Tür der großen Halle ein Glockenspiel in Gang gesetzt hatte, das die Klingel ersetzte. Volkmar öffnete.
Worthlow brachte auf einem Tablett einen elektrischen Rasierapparat und eine Auswahl französischer Gesichtswasser, After shaves, Eau de Toilettes, Cremes und sogar Puder.
»Das Frühstück ist angerichtet, Sir«, sagte er und trug das große Tablett ins Badezimmer. »Mir fiel ein, daß ich vergessen habe, Ihnen die Kosmetika zu bringen. Ich bitte um Entschuldigung. So etwas ist mir noch nie vorgekommen. Ich bin untröstlich, Sir.«
»Aber Worthlow! Das ist doch kein Verbrechen!« Volkmar rasierte sich schnell, wählte ein frisches, nach Limonen duftendes Gesichtswasser und betrachtete kopfschüttelnd die Puderdosen.
»Gibt's das auch, Worthlow? Für Männer?«
»Schönheit und Ästhetik sind an kein Geschlecht gebunden, Sir. Es gibt Herren, denen ein Pickel im Gesicht körperliche Qualen verursacht.« Worthlow fuhr mit einer kleinen Handbürste schnell über Volkmars zerknitterten Anzug. Eine rührende Geste, die beweisen sollte, daß ein Gentleman in jeder Lage ein Gentleman bleibt.
Nach einer Wanderung
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