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Das Haus der verlorenen Herzen

Das Haus der verlorenen Herzen

Titel: Das Haus der verlorenen Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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OP-Tisch heran, an die Seite, die dem Chef zusteht, und überblickte, was man bisher gemacht hatte. Es gab nichts zu tadeln, das mußte ehrlich anerkannt werden. Das Herz mit seinem Kalkpanzer sah hoffnungslos aus: ein fester weißgrauer Klumpen, in den die Venen und Arterien hineinführten wie in eine geschlossene Pumpe. Auf dieses Herz konnte man mit einem Hammer schlagen wie auf einen Stein.
    »Also gut!« sagte Dr. Volkmar und beugte sich über den eröffneten Brustkorb. »Lassen wir den Blutkreislauf losmarschieren. Sind alle Blutwerte korrekt vorhanden?«
    »Wozu?« fragte Dr. Nardo neben ihm.
    »Wozu?« Volkmar starrte Dr. Nardo an. Und plötzlich brüllte er, daß es von den gekachelten Wänden zurückschallte. »Weil ich dieses Herz retten will! Weil dieser Mensch weiterleben soll! Weil das kein Stück Fleisch ist, an dem wir aus Freude am Experimentieren herumschnippeln! Diese alte Frau geht in vier Wochen wieder im Park spazieren! Ist das klar, Herr Nardo?!«
    »Nein, Herr Kollege.«
    »Dann sage ich es deutlicher: Wenn Ihnen bei den Vorbereitungen ein Fehler oder eine Unterlassung unterlaufen ist, haben Sie bei mir keine ruhige Minute mehr. Verstehen Sie das jetzt?«
    »Nein! Ich lasse mir das von Ihnen nicht sagen!« schrie Dr. Nardo zurück.
    »Halten Sie den Mund!« sagte plötzlich eine scharfe, eiskalte Stimme aus einem versteckten Lautsprecher. »Pietro, der Chef ist Dr. Volkmar!«
    »Aha! Sie hören mit, Don Eugenio?!« rief Volkmar.
    »Ich höre und sehe alles über die Fernsehkamera.« Dr. Soriano sprach wieder ruhig. »Im OP gilt nur, was Sie sagen, Enrico. Dort sind Sie der Kaiser – oder Gott. Was Sie wollen!«
    Die Meßwerte, die man Dr. Volkmar schnell vorlas, stimmten. Es war nichts vergessen worden. Die eigentliche Operation, die Abtrennung des Kalkpanzers, konnte beginnen. Der Blutkreislauf lief über die Herz-Lungen-Maschine. Es war für die alte Frau seit langer Zeit wieder ein normaler Kreislauf, aber sie spürte davon nichts.
    Dr. Volkmar brauchte drei Stunden, bis er die Kalziumablagerungen so weit abgeschält, herausgebrochen und abgesägt hatte, daß das Herz sich wieder entfalten konnte. Allerdings war der Myocard, also die Herzmuskulatur mit ihrem Faserngewebe, bereits so stark in Mitleidenschaft gezogen, daß diese Operation nur noch als eine vorübergehende Entlastung anzusehen war.
    Es war der Augenblick erreicht, auf den Dr. Nardo – und Dr. Soriano am Fernsehschirm – gewartet hatten: Es stellte sich die Frage, ob hier die Medizin aufhört oder ob die Herzchirurgie eine neue Welt entdecken kann. Das alte, müde, geschädigte Herz begann nach Zurückführung des Blutes in den natürlichen Kreislauf und nach dem Elektrostoß, der ihm signalisierte: »Nun bist du wieder dran«, langsam und mühsam zu schlagen. Der Mensch auf dem OP-Tisch lebte, aber er lebte, um jeden weiteren Tag als eine Qual zu empfinden.
    »Bravo!« sagte Dr. Sorianos Stimme im Lautsprecher. »Das war nicht nur eine Meisterleistung, das war die Demonstration goldener Hände! Dr. Volkmar, Sie haben wirklich goldene Hände und dazu den Mut eines Thyrannosaurus!«
    Volkmar trat vom OP-Tisch zurück und überließ es Dr. Nardo und seinem Team, den Thorax wieder zu schließen. »Ich bin müde!« sagte er laut in die Fernsehkamera hinein. »Ich habe die ganze Nacht gesoffen! Die alte Frau wird weiterleben, vielleicht ein halbes Jahr noch.«
    »Wäre sie jünger, sagen wir Mitte Vierzig, dann hätte sie mit einem neuen Herzen die Chance …«
    »Schluß, Don Eugenio!« sagte Volkmar hart. »Darüber rede ich nicht mehr mit Ihnen! Ich habe meine Pflicht getan. Jetzt lassen Sie mich in Ruhe!«
    Er verließ den OP durch die automatische Glastür, warf im Vorraum Mütze, Mundschutz, Handschuhe und Schürze von sich, als seien sie voll Ungeziefer, und ging in den ersten Raum, wo sein Anzug hing. Freundliche Menschen hatten ihn desinfiziert und gebügelt.
    Hier saß auch Dr. Soriano vor einem Bildschirm und applaudierte, als Volkmar ins Zimmer kam. In einer Ecke, auf einem weißen Stuhl, hockte Loretta, das Gesicht vom Monitor abgewandt. Sie sah sehr bleich aus, sehr zerbrechlich, offenbar sehr erregt.
    »Loretta wollte dabeisein!« sagte Soriano und stand auf, um Volkmar beide Hände zu schütteln. »Aber sie hat nicht ein einziges Mal auf den Schirm geguckt. Aber als Sie fertig waren, hat sie gesagt: ›Wie kann ein Mensch solche Wunder vollbringen?!‹ Ich mußte ihr recht geben!«
    »Es gibt keine Wunder,

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