Das Haus der verlorenen Herzen
ihrer heimlichen Liebe. Was sie jetzt tat, war ein Wegwerfen ihres Körpers, und sie tat es bewußt, um alles in sich abzutöten, was noch an Dr. Volkmar dachte oder für ihn fühlte.
In den Redaktionen der Zeitungen aber standen die Spätredakteure kopf. Sie hörten die Tonbänder immer wieder ab und waren sich darüber im klaren, daß dieses Tonband mit einer Bombe zu vergleichen war.
Eine, wie leicht zu hören war, verstellte Männerstimme sagte:
»Dr. Heinz Volkmar, der angeblich bei Sardinien ertrunken sein soll, lebt. Er ist entführt worden. Wenn Sie alles wissen wollen, fragen Sie Dr. Eugenio Soriano. Der Tote, den man in Deutschland begraben hat, ist ein fremder, unbekannter Mann. Fragen Sie Dr. Soriano …«
Manchmal ist es von Nutzen, an Türen und hinter Mauerecken versteckt zu lauschen, vor allem, wenn man nur so mühsam Zeitung lesen kann wie Anna Talana …
Die Verbindung der Namen Dr. Volkmar und Dr. Soriano war so heiß, daß man bei allen drei Zeitungen die Chefredakteure alarmierte. Nur einer fand sich dazu bereit, bei Soriano anzurufen. Er war ein Freund von Staatsanwalt Dr. Brocca, der – das war allgemein bekannt – wiederum ein Freund von Dr. Soriano war.
Don Eugenio nahm den Anruf mit eiserner Miene hin. Nur seine Mundwinkel zuckten etwas. »Blödsinn!« sagte er, als der Chefredakteur den Text des Tonbandes verlesen hatte. »Ein Irrer! Glauben Sie das? Das war ein Verrückter, der Ihnen das Band geschickt hat.«
Er legte auf und blickte einen Augenblick gegen die seidenbespannte Wand.
Erst Gallezzo, jetzt diese Schweinerei! Wo sitzt der Feind? Wer will mich vernichten? Die anderen Familien auf Sizilien? Warum bloß? Warum? Sie sind reich geworden durch mich. Sie leben ja nur durch mich! Keiner dreht sich das Wasser ab, von dem er lebt.
Wer sind meine Feinde?
Er ging hinüber zum Gästehaus II und klingelte an Volkmars Tür. Es dauerte ziemlich lange, bis Volkmar endlich öffnete. Er wirkte etwas verlegen. Dr. Soriano winkte ab und setzte sich in der Halle in einen der Sessel.
»Ich weiß, daß meine Tochter bei Ihnen ist«, sagte er. »Sie brauchen nicht rot zu werden. Ich möchte meine Tochter auch nicht abholen oder einen Skandal machen. Ich muß Ihnen nur sagen, daß Sie noch diese Nacht das Haus verlassen müssen. Sie ziehen in mein Altersheim …« Soriano wischte sich mit beiden Händen über das Gesicht. Er sah plötzlich sehr erschöpft aus. »Die Presse ist informiert worden, daß ich Sie gefangenhalte. Jetzt muß ich mein Haus öffnen, um das Gegenteil zu beweisen. Begreifen Sie das? Jemand hat Tonbänder herumgeschickt. Wer weiß denn, daß Sie hier sind und noch leben?« Er stand auf und blickte zu der geschlossenen Schlafzimmertür. »Worthlow wird Ihnen beim Packen helfen. Und sagen Sie Loretta, sie soll vor ihrem Vater keine Angst haben. Trotzdem möchte ich Sie in die Fresse schlagen, Dottore, daß Sie meine Tochter so weit gebracht haben, heimlich mit einem Mann im Bett zu liegen.«
Eine Stunde später raste ein kleiner Sportwagen, mit Loretta am Steuer, zum Altersheim. Dr. Volkmar neben ihr blickte sich ein paarmal um und sah dann die Lichter des sie begleitenden Wagens. In ihm saßen sechs Männer mit Maschinenpistolen, die Leibgarde Dr. Sorianos.
In der Nacht noch begann man Listen aufzustellen von den Personen, die als unsicher, labil, käuflich oder rachsüchtig galten. Personen, die im Blickfeld Dr. Sorianos lebten und mit besonderen Geheimnissen konfrontiert worden waren.
Eine der unsicheren Personen, die auf dieser Liste standen, war auch Dr. Pietro Nardo.
Der nächste Tag wurde für Palermo sehr ereignisreich.
Für die Einwohner, aber auch für die Fremden und Touristen, die sorglos die Sommersonne genossen, mit Bussen durch die herrliche Stadt kutschiert wurden oder an den Meerstränden lagen, war das, was die Zeitungen schrieben, der Rundfunk verkündete und was von Mund zu Mund lief, nur wiederum eine Bestätigung, daß man in einem Land voller Abenteuer lebte. Für die Eingeweihten jedoch galt dieser Tag als Warnung und als Bestätigung, daß Don Eugenio mehr war als nur ein geachteter Anwalt und Vorsitzender der Ehrenwerten Gesellschaft: In Abständen von einer Stunde starben durch Autounfall, Selbstmord, Erschießen, Erhängen, Ertränken oder Absturz von einer Klippe ins Meer neunzehn mehr oder weniger angesehene Männer. Da niemand wußte, ob er auf der Liste stand, war es auch schwer, sich zu schützen. Flucht war völlig sinnlos. Daß
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