Das Haus der verlorenen Herzen
des Herzspenders erwarteten ihn bereits.
Achmed ibn Thaleb hatte noch einmal zu Allah gebetet, ehe man ihn auf das Rollbett legte und zum Vorbereitungsraum schob. Die drei sterilen Isolierzimmer, in denen er nach der Operation wohnen mußte, waren noch einmal durchkontrolliert worden. Alle Geräte zur Intensivbehandlung waren vorhanden. Um das Bett standen Chromgalgen für die Tropfflaschen, Bildschirme für die elektronischen Meßanzeigen. Die Plastikbahnen für das Sauerstoffzelt waren hochgeschlagen.
Dr. Volkmar blickte auf die beiden Bildschirme vor seinem großen Schreibtisch. Fernsehkameras übertrugen das Geschehen in den OPs zu Volkmars Zimmer. Er sah die beiden Ärzteteams bereitstehen: Im OP I mit der Herz-Lungen-Maschine vierzehn, im OP II, wo man nur das Herz herausnehmen mußte, vier Ärzte. Auf OP-Schwestern hatte Dr. Soriano verzichtet; den Instrumentendienst besorgten ebenfalls Ärzte.
»Frauen haben ein zu großes Mitteilungsbedürfnis!« hatte Soriano behauptet. »Sie mögen sich noch so sehr zur Schweigsamkeit verpflichten – irgendwann im Bett reden sie doch!«
Achtzehn Ärzte, dachte Dr. Volkmar, als er auf den Bildschirmen die Tätigkeit in den OPs beobachtete. Glaubt Soriano wirklich, das sind achtzehn verschlossene Münder? Mit welch hohem Einsatz spielt dieser Mann!
Er sah, wie Achmed ibn Thaleb, schon vornarkotisiert, mit dem Tubus in der Luftröhre, in OP I gerollt wurde. Durch die automatische Tür von OP II schob man jetzt den Herzspender. Dr. Nardo hatte den jungen Fischer extra für Dr. Volkmar zurechtgemacht. Der Kopf war dick umwickelt, vier Tropfflaschen waren mit den Venen verbunden, ein fahrbarer Impulsgeber rollte neben dem Bett und zwang das angeblich einzige in diesem toten Körper noch funktionsfähige Organ, das Herz, normal zu schlagen. Daß dort ein völlig gesunder Mann lag, war nicht mehr zu sehen. Wer käme auch auf einen solch fürchterlichen Gedanken!
Volkmar erhob sich, stellte die Fernsehschirme aus und ging hinüber in den Waschraum. Ibn Thaleb lag auf dem OP-Tisch, ein knochiger, schmaler, nackter Körper, mit grünen Tüchern abgedeckt bis auf das Operationsfeld.
Dr. Nardo blickte durch die Glaswand hinüber zu Volkmar. Können wir anfangen, fragte sein Blick. Einen Brustkorb eröffnen – das haben wir lange geübt.
Volkmar nickte. Er atmete tief auf. Die entscheidende Sekunde. Das größte medizinische Abenteuer hatte begonnen.
Im OP II saßen die vier Ärzte um den narkotisierten jungen Fischer und warteten. Die Eröffnung dieses Brustkorbes würde schnell gehen. Hier brauchte man kein Leben zu erhalten; hier brauchte man nur den gesunden, bis zuletzt pulsierenden Muskel herauszutrennen: das Herz.
Das Los hatte die vier Ärzte zu dieser Aufgabe bestimmt. Sorianos lebende ›Herzbank‹ lieferte den ersten Menschen für die grauenvollste Operation unserer Zeit.
Dr. Volkmar aber ahnte nichts, als er in den OP kam und unter das gleißende Licht der Operationsscheinwerfer trat.
Dr. Nardo hatte bereits mit der Thorakotomie begonnen.
Er hielt sich dabei streng an die Weisungen, die ihm Volkmar gegeben hatte, und an die Methode, die sie gemeinsam an Schweinen, Affen, Lämmern und zuletzt an zwei Kälbern geübt hatten. Entgegen allen Modifikationen in der Schnittführung und Eröffnung eines Brustkorbs blieb Dr. Volkmar bei der alten, bewährten Technik nach Professor von Mikulicz, dem Lehrer des großen Sauerbruch: Eingang in die Brusthöhle mit Rippendurchtrennung. Die interkostale Thorakotomie, bei der man den Schnitt genau in der Mitte zwischen zwei Rippen setzt und dann die Rippen auseinanderzieht, ergab für Volkmar nicht genügend Raum, um ein ganzes Herz auszutauschen.
Die Arbeit geschah in der ersten halben Stunde fast wortlos. Man hörte nur das Schlurfen der Sauger, das rhythmische Klatschen des Atemsackes, das elektronische Knistern des Oszillographen und das leise, schlürfende Pumpen der Herz-Lungen-Maschine, als Dr. Nardos Team den Blutkreislauf außerhalb von Thalebs Körper verlegte. Ab und zu fielen ein paar Worte: Die Meldungen des Anästhesisten über Blutdruck, Puls, Atmung, Herzfrequenz, das Okay des Internisten am Bildschirm des Rheogramms, die leisen Anweisungen an die Instrumententische und das beruhigende »Alles in Ordnung« von der Herz-Lungen-Maschine.
Achmed ibn Thalebs Herz befand sich in einem katastrophalen Zustand. Nach der Eröffnung des Thorax und des breiten Zugangs lag der Muskel wie ein roter Klumpen vor Dr.
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