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Das Haus der verlorenen Kinder

Titel: Das Haus der verlorenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serena Mackesy
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auf die Wand des Speisezimmers fällt.
    Der Strahl einer Taschenlampe. Das ist eine Taschenlampe.
    Da draußen ist jemand.
    Die Haustür ist nicht verschlossen. Die hintere Tür genauso wenig. Sie ist nachlässig geworden. Hat aufgehört, sich Sorgen zu machen.
    Und jetzt weiß sie, wer das ist. Wer würde sonst schon im Schnee um ihr Haus schleichen. Im Dunkeln.
    Kieran ist hier.

56
    Ich muss ruhig bleiben. Ich muss unbedingt ruhig bleiben. Zuerst muss ich die Tür abschließen. Ihn aussperren. Ihn davon abhalten, hereinzukommen.
    Sie bläst die Kerze aus. Wahrscheinlich hat er deren Schein bereits an den Fenstern vorbeihuschen sehen, aber sie darf ihn nicht wissen lassen, wo sie jetzt ist.
    Er ist hier. Wie hat er mich nur ausfindig gemacht? Ich weiß nicht …
    Bridget bückt sich, legt ihre Last ganz leise auf die Steinfliesen. Schweiß – kalter Schweiß – steht ihr auf der Stirn. Sie beißt sich auf die Lippe.
    Was mache ich bloß?
    Oh, mein Gott, Carol. Er hat Carol etwas angetan. Das ist der Grund, warum sie nie ans Telefon geht: Er hat es irgendwie in seinen Besitz gebracht, und das bedeutet, dass er … ach, Carol. Meine liebste, meine beste Freundin. Hoffentlich geht es dir gut. Wo immer du auch bist. Bitte, es darf doch nicht sein, dass er dir etwas …
    Jede Zelle ihres Körpers rät ihr, vor ihm zurückzuweichen, nicht in seine Richtung zu gehen. Sie sieht, dass das Licht näher kommt. Er kommt. Er kommt zur Tür.
    Lass das.
    Sie muss sich zwingen, weiterzuatmen. Spürt, wie sie die Luft stoßweise einzieht und langsam, ganz langsam wieder ausatmet, als könnte er das auf der anderen Seite der Tür draußen hören. Bridget geht auf die Knie. Kriecht voran. Streckt ihre steifen Finger aus und greift nach dem Riegel. Dreht ihn und schiebt ihn langsam, ganz langsam in den Haken.
    Das Knirschen von Stiefeln auf Stein. Er ist auf der Eingangsveranda. Stampft sich den Schnee von den Schuhen.
    Sie streckt den Arm aus, duckt sich unter dem kleinen Türfenster, während sie nach dem Schlüssel greift. Er steckt bereits im Schloss, wo er immer ist, damit er nicht verloren gehen kann. Kieran wird mich hören. Er wird mich hören. Er wird wissen, dass ich da bin. Das muss er wissen.
    Er räuspert sich. Hat keine Eile. Er hat die ganze Nacht Zeit.
    Bridget dreht den Schlüssel herum. Das Kratzen und Klacken des uralten Schlosses.
    Er verstummt. Er hat mich gehört.
    Der Türknauf beginnt sich zu drehen. Sie kann Kieran atmen hören.
    Er muss auch mich hören können.
    Sie drückt sich gegen die hölzerne Haustür und versucht, sich im Dunkeln zu verstecken. Ich kann nicht weg hier. Wenn ich versuche davonzulaufen, sieht er mich durchs Fenster. Er wird wissen, dass ich da bin. Er wird wissen, dass ich Bescheid weiß.
    O mein Gott, hilf mir.
    Die Tür in ihrem Rücken bewegt sich. Ein ganz klein wenig. Dann greifen die Schlösser, halten, geben nicht weiter nach.
    O mein Gott, hilf mir.
    »Verdammte Scheiße«, murmelt er. Er ist es. Er ist es. Sie hört, dass er ein paar Schritte rückwärts geht, über die Stein-platten schlurft. Wieder hebt sie die inzwischen vor Kälte starre Hand und nimmt den Schlüssel ganz vorsichtig zwischen die Finger. Zieht ihn Stück für Stück aus dem Schloss.
    Über ihr zerspringt Glas. Die winzige Scheibe, die jedoch groß genug ist, dass eine Hand, ein Arm hineinlangen kann.
    Sie rennt los. Hört ihn wieder fluchen, als ihm klar wird, dass sie in Reichweite seiner Hand war, hört, wie die Tür in ihrem Rahmen wackelt, als habe sich ein Körper dagegen geworfen.
    Und jetzt rennt sie los, so schnell sie kann. Durch das Speisezimmer. An den Fenstern vorbei, die zu hoch sind, um hinauszusehen, am Tisch vorbei, dem großen Schrank, vorbei an der Tür zum Arbeitszimmer in die Küche, wo die Geräte, da sie keinen Strom haben, still und unheimlich dastehen.
    O mein Gott, hilf mir.
    Sie kann ihn jetzt hören, wie er hinter ihr her durch den Schnee stapft, wie er dadurch, dass er immer wieder einsinkt, behindert wird, aber trotzdem vorankommt. Bitte, bitte, bitte …
    Sie schnappt den Schlüssel der Spülküche vom Haken, rennt zur Tür, dreht den Schlüssel im Schloss, wirft die Riegel vor. O mein Gott. Das wird ihn nicht lange draußen halten. Er wird schon einen Weg finden. Er wird einen Weg finden und schließlich die Treppe heraufkommen und …
    Yasmin. Ach, Schätzchen. Ich habe solche Angst.
    Während sie die Treppe hinaufrennt, schreit sie in sich hinein. Lässt den Schrei aus

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