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Das Haus der verlorenen Kinder

Titel: Das Haus der verlorenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serena Mackesy
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abgeschlossen?
    Selbstverständlich hast du das.
    Wirklich?
    Ich kann mich nicht erinnern.
    Er wird zurückkommen.
    Er kann nicht zurückkommen. Er war ja noch nie hier.
    Er wird zurückkommen, und ich kann nirgends hin.
    Sie wirft einen Blick auf ihre Uhr. Viertel nach. Ob wohl irgendwann die Zeit kommen wird, wenn ich nicht mehr automatisch noch einmal nachsehe? Wenn ich einfach ins Bett gehe und liegen bleibe? Es hat ja nicht nur mit Kieran zu tun: Es hat mit dem Leben auf dem Lande zu tun. Die Leute hier liegen nachts nicht wach und horchen, ob irgendwo einer eine Glasscheibe einschlägt.
    Besser, ich gehe hinunter und schaue nach. Ich kann mich nicht erinnern. Kann mich nicht erinnern, die Riegel vorgeschoben zu haben. Kann mich nicht erinnern, der Reihe nach an jedem der Fenster im Erdgeschoss gerüttelt zu haben. Kann mich nicht erinnern, den großen, schweren Schlüssel umgedreht zu haben, der immer in der Tür der Spülküche steckt.
    Sie geht hinüber, schaut kurz in der Wohnung vorbei. Steckt den Kopf in Yasmins Zimmer. Sie schläft tief und fest: völlig entspannt, die Glieder so genüsslich ausgestreckt, dass sie wie eine Stoffpuppe aussieht. Wieder hat sie das Gästebett ausprobiert. Das Laken ist zerwühlt, die Decke zurückgeschlagen, als wäre sie hastig aus dem Bett gestiegen, das Kissen ist zwischen Bett und Nachttischchen gerutscht. Macht nichts. Irgendwann wird sie sich entscheiden. Wird heimisch werden. Vielleicht lasse ich es einfach so, verzichte darauf, das Bett wieder zu machen. Sie wird es sowieso wieder zerwühlen.
    Noch immer hängt im Speisezimmer ein Geruch in der Luft: nach Zigarettenrauch und abgestandenem Wein. Sie geht langsam und methodisch durch das Erdgeschoss. Fenster im Vorraum. Salonfenster. Hintere Küche. Die hat nur ein Sicherheitsschloss. Sie wird Tom Gordhavo bitten müssen, in Sachen Schlösser aufzurüsten. Das ist eigentlich nur fair. Tür des Ostflügels. Eingangstür. Der obere Riegel ist nicht vorgeschoben, aber der Schlüssel ist natürlich umgedreht worden. Jetzt erinnere ich mich. Ich erinnere mich, weil mir dabei dieser dumme Gedanke durch den Kopf gegangen ist: Wenn man abschließt, schließt man sich zugleich ein.
    Sie wirft einen Blick über die Schulter. Das Problem ist, dass ein Haus wie dieses eigentlich voller Menschen sein müsste. Vielleicht nicht gerade Leute wie die Terrys, aber ohne sie, jetzt, da sie, nachdem sie wie ein Starenschwarm eingefallen waren, wieder davongeflogen sind, ist der Kontrast umso stärker. Ohne sie ist die Dunkelheit dunkler, die düsteren Stellen düsterer. Ohne die Rastlosigkeit anderer Menschen hallt jedes Geräusch, jedes Knirschen im vierhundert Jahre alten Gebälk des Gebäudes wie Kanonenfeuer wider. Wenn sie abreisen, bin ich mir, weil sie da waren, stärker bewusst, dass ich allein bin.
    Während sie an den Speisezimmerfenstern rüttelt, späht sie in den Garten und den Hof dahinter hinaus. Noch nie hat sie eine solche Dunkelheit gesehen. Die Hügel zu allen Seiten verdecken die Lichter des Dorfes, und Wolken haben sich vor den Mond geschoben. Das einzige Licht kommt aus ihren eigenen Fenstern: die Lichter hier und im Zimmer mit dem Himmelbett lassen den Winterliguster wie kauernde Trolle und die alte Ulme wie eine bucklige Riesin erscheinen, und der Knoten, wo vor Jahren wohl ein Ast entfernt wurde, wirkt wie ein einzelnes, starres Auge.
    Es ist schön. Komm schon, es ist schön. Viele Leute würden alles geben, um so wohnen zu dürfen.
    Die Fenster sind alle geschlossen. Sie zieht die Vorhänge zu, um die Nacht auszusperren.
    Halb elf. Ich muss um sieben aufstehen, damit Yasmin rechtzeitig für die Schule gewaschen ist und gefrühstückt hat. Sie braucht ein ordentliches Frühstück, denn sie muss einen guten Eindruck machen. Das Letzte, was Yasmin gebrauchen kann, ist, als vernachlässigtes Stadtkind abgestempelt zu werden, bevor sie überhaupt die Chance haben, sie kennenzulernen. Wahrscheinlich hinkt sie den anderen beim Lesen etwas hinterher. In der letzten Schule scheinen sie nicht viel gemacht zu haben, außer dass sie sich weigerten, Schüler von der Schule auszuschließen und Kinder, die mit Messern zum Unterricht kamen, zur Beratung zu schicken.
    Sie knipst das Licht im Speisezimmer aus und macht schnell die Tür zu. Küchenfenster. Spülküche. Alles in Ordnung. Der Wasserhahn tropft, und sie dreht ihn zu. Vielleicht sollte sie diese Vorhänge in die Waschmaschine stecken. Einen davon zumindest. Noch bevor

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