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Das Haus des Buecherdiebs

Titel: Das Haus des Buecherdiebs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Pechmann
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hatte er als Anwalt |50| gearbeitet, doch seit er durch einen Unfall das Augenlicht verloren hatte und gelähmt war, sah er sich völlig auf die Hilfe seines Bruders angewiesen. Wo aber war Langley, der sich all die Jahre so liebevoll um Homer gekümmert hatte? Die Polizei suchte tagelang nach ihm. Schließlich, drei Wochen später, entdeckte man ihn begraben unter Büchern und Zeitschriften. Offenbar waren einige der gewaltigen Büchertürme instabil geworden und auf ihn herabgestürzt, als er seinem Bruder gerade das Essen bringen wollte. Bei der späteren Räumung des Hauses mussten 150 Tonnen Papier entsorgt werden. Langley Collyer hatte vierzig Jahre lang alle Arten von Drucksachen geraubt, gesammelt und zusammengerafft, damit Homer an dem Tag, da er sein Augenlicht zurückgewänne, auch genug zu lesen habe.
    Die interessantesten Bücherwürmer sind aber sicher jene, die einer exklusiven Leidenschaft frönen und unbeirrt einer ganz speziellen Sammlerpassion folgen. So berichtet Holbrook Jackson von der Begegnung eines Engländers mit einem deutschen Gelehrten in Athen, der ohne die Epen Homers nicht leben konnte. Stets hatte er ein Exemplar der »Ilias« oder der »Odyssee« in der Tasche. Er kannte die klassischen Werke in- und auswendig, wusste über all ihre Übersetzungen und deren Fehler und Vorzüge Bescheid, konnte die bedeutenden, aber auch die abwegigsten Kommentare und Abhandlungen zitieren und war in jeder Hinsicht ein bemerkenswerter Experte. Wie stark seine Liebe zu Homers Versen war, lässt sich andeutungsweise aus der Tatsache erschließen, dass er sich den griechischen Originaltext |51| der »Odyssee« auf Gummi drucken ließ, um ihn auch gefahrlos in der Badewanne lesen zu können.
    Zuweilen nehmen die Marotten der Bibliomanen auch erschreckende Züge an. So scheint es doch tatsächlich Büchernarren gegeben zu haben, die ihr Lieblingsbuch in die Haut der oder des verstorbenen Geliebten binden ließen. Ein schönes Büchlein kann mitunter gewiss auch eine erotische Anziehungskraft ausüben und verdient durchaus eine besondere Behandlung, aber so weit sollte man nun doch nicht gehen – nicht einmal so weit wie der Held aus Charles Nodiers Erzählung »Der Bibliomane«. Dieser betrachtet wehmütig die in gelbes Saffianleder gekleideten Füße junger Frauen und seufzt nicht angesichts ihrer naturgegebenen Anmut und Eleganz – nein, er jammert über die maßlose Verschwendung, aus solch schönem Leder Damenschuhe zu fertigen, anstatt Bücher zu binden! Der Weg von der Bibliomanie zum Fetischismus scheint recht kurz zu sein. Dies beweist die Beharrlichkeit und Besessenheit einzelner Sammler, und die Besessenheit scheint umso größer zu sein, je spezieller der Schwerpunkt der Sammelleidenschaft ist.
    Sein Leben dem Erwerb seltener Kochbücher zu widmen ist aber vielleicht nur dann wirklich befriedigend, wenn man selbst etwas vom kulinarischen Handwerk versteht – wie der aus Ungarn stammende Meisterkoch und Restaurantbesitzer Louis Szathmary II. In den einunddreißig Zimmern der siebzehn Apartments seines Hauses in Chicago, in dem sich auch sein Lokal befand, stapelte er rund 200 000 Kochbücher und seltene Rezeptbände |52| aus aller Welt, wie das Notizbuch von Katharina Schratt, der Geliebten des österreichischen Kaisers Franz Joseph. Die vielseitig talentierte Dame notierte darin all die köstlichen Geheimnisse der Wiener Küche – Topfenknödel mit Zwetschgenröster, Mohnnudeln, Apfelstrudel, Tafelspitz und ähnliche Gaumenfreuden.
    Szathmary stammte aus einer bibliophilen Familie, deren Mitglieder seit 1790 als Kunden der größten und ältesten Antiquariate Budapests geführt wurden. Er studierte bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs Psychologie, wurde dann Soldat in der ungarischen Armee und verbrachte Jahre in deutschen und sowjetischen Gefangenenlagern. Nach dem Krieg verließ er Europa mit einem Dollar und zehn Cent in der Tasche und einem Koffer mit 14 Büchern – darunter einer Bibel, drei Büchern über Mozart und mehreren Bänden mit ungarischer Poesie. Getreu seiner Lebensphilosophie, nie zurückzublicken und nie dem Vergangenen nachzutrauern, begann er ein neues Leben in Amerika. Er schlug sich in verschiedenen Jobs durch und trug sein erstes Gehalt in eine New Yorker Buchhandlung, an der Ecke 42nd Street/ Broadway, wo er sich für 19 Cent ein altes Kochbuch von Ludwig Bemelmans kaufte. Es war das erste Stück seiner Sammlung und die Grundlage seiner späteren

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