Das Haus des Buecherdiebs
Gesundheitszustandes seines Freundes und überredete ihn, ein paar |59| Tage zur Erholung außerhalb seiner Studierstube zu verbringen. Widerwillig stimmte Petrarca zu und übergab die Schlüssel zu seiner Bibliothek. Der erste Tag ohne Bücher schien endlos lang und trostlos. Am zweiten Tag bekam er starke Kopfschmerzen, die ihn von morgens bis abends peinigten, und am dritten Tag wurde er von einem glühenden Fieber gepackt. Der Bischof konnte dem Leiden nicht länger zusehen und gab die Schlüssel zu dem Bücherzimmer seufzend zurück. Petrarca erholte sich rasch und stürzte sich in seine Arbeit, das Studium der lateinischen Klassiker.
In jungen Jahren, als Student in Bologna, hatte er noch ein lockeres, ausschweifendes Leben geführt und sorglos das Vermögen seines Vaters verprasst. Um sich ein Auskommen zu sichern und seine privaten Studien fortsetzen zu können, trat er in den Dienst der Kirche und empfing schließlich die niederen Weihen. Drei Jahre zuvor, am 6. April 1327, einem Karfreitag, soll er vor der Kirche Sainte-Claire in Avignon eine junge Frau erblickt haben, die ihm zur lebenslangen Muse wurde und der er in zahllosen Sonetten huldigte. Seine Gedichte an die unerreichbar schöne Laura, die der Dichter ausschließlich in seiner Phantasie liebte, bildeten sein berühmtestes Werk, das in der italienischen Volkssprache verfasste »Canzoniere«. Diese besondere Art lyrischer Schwärmerei wurde über die Jahrhunderte hinweg immer wieder imitiert – insbesondere im Deutschland des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts galt das Fabrizieren von petrarkischen Gedichten als schick, auch wenn die jungen Poeten allzu oft »petrarkisch« mit »schwüls tig « |60| verwechselten. Petrarca arbeitete an der zweiten Fassung seiner Gedichtsammlung, als ihn die Nachricht von Lauras Tod ereilte. Glaubt man dem Dichter, starb sie am 6. April 1348, genau einundzwanzig Jahre nach ihrer ersten Begegnung. Kurz vor seinem Tod am 18. Juli 1374 stellte er noch die letzte eigenhändige Abschrift des »Canzoniere« fertig. Das kostbare Manuskript befindet sich heute in der Vatikanbibliothek.
Doch wie sehr Petrarca auch jene geheimnisvolle »Donna Laura« verehrte – seine größte Liebe galt den Büchern, von denen er nie genug haben konnte. Bei der Lektüre stieß er immer wieder auf interessante Querverweise zu Werken, die irgendwann einmal existiert hatten und womöglich immer noch in einer verstaubten Klosterbibliothek auf ihn warteten. Nachdem er sämtliche Klöster, Schlösser und Burgruinen Italiens durchstöbert hatte, führten ihn seine Reisen nach Frankreich, Deutschland, Spanien, England und Griechenland. Seine Funde waren zahlreich und kostbar. Als er nach Flandern kam, entdeckte er in Liège eine verschollene Cicero-Handschrift, die Rede »Pro Archia poeta«. Ein anderes Mal, als er im Auftrag des Papstes Verona besuchte, stieß er wieder auf ein Manuskript, einen zerfledderten Codex mit Abschriften unbekannter Briefe Ciceros an Atticus, Quintus und Brutus, einen Band von immenser historischer Bedeutung. Vieles, darunter auch Texte von Plinius dem Älteren und Platon, wäre für immer verloren, wenn es der unermüdliche Bibliomane nicht ausgegraben und zum Teil eigenhändig kopiert hätte. Noch mehr wäre aus dem Gedächtnis der Menschheit verschwunden, |61| wenn Petrarca seinen jüngeren Freund Giovanni Boccaccio nicht mit seiner Leidenschaft angesteckt hätte.
Boccaccio stammte aus einer bürgerlichen Kaufmannsfamilie und wuchs im lebenslustigen Neapel auf. Wie Petrarca sollte er Jura studieren, wie dieser stand auch ihm der Sinn eher nach erfreulicheren Beschäftigungen wie Liebe und Literatur. Er freundete sich mit Künstlern und Dichtern an und legte bald eigene Werke vor, die zunächst wenig erfolgreich waren. Sein umfangreicher »Filocolo« war der erste Prosaroman der italienischen Literatur und schildert die Abenteuer zweier Liebenden, die getrennt werden und zunächst zahllose Prüfungen bestehen müssen, ehe sie wieder zusammenfinden. Ein völlig vergessenes Werk ist »Ninfale d’Ameto«. In der Rahmengeschichte dieser bukolischen Dichtung beobachtet der Hirt Ameto eine Schar Nymphen beim Baden und verliebt sich in deren Anführerin Lia. Beim Venusfest treffen sich Hirten und Nymphen, und jede Nymphe erzählt die Geschichte ihrer Liebe, während Ameto mit jeder Erzählung lüsterner wird, bis ihn am Ende die Leidenschaft übermannt. Die Verbindung von Rahmenhandlung und einzelnen Geschichten
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