Das Haus des Buecherdiebs
wurden. Die strenge Diät hinderte ihn aber nicht daran, den gesamten Wintervorrat an selbstgemachter Marmelade aufzubrauchen. Man gab ihm sogar ein kleines Taschengeld, gerade genug, um damit Papier, Tinte, Briefmarken und Zigaretten kaufen zu können. Zudem durfte er an den eleganten Diners und Gesellschaften teilnehmen und lernte die gutbetuchten und angesehenen Mitglieder der englischen Kolonie Venedigs kennen. Zu Ivy hatte er eine besonders enge Beziehung. Er unterhielt sie oft bei einer Tasse Kaffee mit seinen abenteuerlichen Erlebnissen und faszinierte sie mit seinem unerschöpflichen Wissen über religiöse Riten und Bräuche. Stundenlang konnte er über die Bedeutung eines bestimmten Knopfes an einer Priestersoutane oder die Farbe eines Bischofsgewands plaudern.
Eines Tages bat ihn Ivy, einen Blick in sein Manuskript werfen zu dürfen, an dem er so überaus eifrig feilte. Er erlaubte es unter dem Vorbehalt, sie dürfe es nicht ihrem Mann zeigen. »The Desire and Pursuit of the Whole« entpuppte sich als Schlüsselroman, in dem so gut wie alle damals in Venedig residierenden Engländer einschließlich der van Somerens als Geizhälse, Einfaltspinsel und Heuchler verunglimpft wurden. Ivy war entsetzt und zeigte den Text, entgegen ihrem Versprechen, sofort ihrem Mann. Dr. Ernest van Someren |69| reagierte prompt und ließ seinen undankbaren Gast vom Personal hinauswerfen.
Doch ein Lebenskünstler und begnadeter Schwindler wie Frederick Rolfe findet immer einen Gönner. Zwar hauste er in den folgenden Monaten öfter in offenen Booten und Besenkammern als in freundlichen Gästezimmern, doch starb er nicht in Armut und Einsamkeit. Gegen Ende seines Lebens wurde ihm eine kleine Erbschaft zuteil. Er konnte einen weiteren Roman schreiben, weitere Drohbriefe an die Reichen und Berühmten verschicken und weiterhin Jagd auf gutaussehende Gondolieri machen – bis ihn am 25. Oktober 1913 ein plötzlicher Herzstillstand dahinraffte, als er sich gerade die Schnürsenkel zuband.
Rolfes großzügige Förderer und Mäzene waren längst vergessen, als sein Biograph Alphonse James Albert Symons ihm zu Ehren die Corvine Society gründete, die 1929 das Andenken an den selbsternannten Baron und meisterhaften Schnorrer mit üppigen Diners und dekadenten Trinkgelagen feierte und nicht zuletzt dafür sorgte, dass seine seltenen, von Antiquaren als »Corvi niana « bezeichneten Bücher, Briefe, Fotografien und Autographen zu begehrten Sammlerstücken wurden.
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|70| Die Kunst des Schnorrens
Ein Dichter muss einen Frack haben,
ohne Frack kein Dichter.
Peter Altenberg
Die Passion gutbetuchter Bibliomanen kann durchaus sinnvoll genutzt werden, wie das Leben Baron Corvos hinreichend beweist. Wer als Künstler oder Schriftsteller überleben will, muss früher oder später einen treuherzigen Mäzen finden und die hohe Kunst des Schnorrens erlernen. Die Meisterschaft in dieser Kunst ist dann erreicht, wenn die Spendengelder üppig fließen, ohne dass man lang darum bitten muss. Übertroffen wird dies nur noch von dem, der Zuwendungen erhält, ohne sie wirklich nötig zu haben. Peter Altenberg peinigte seinen Freund Karl Kraus einmal mit der Bitte: »Gib mir zehn Kreuzer … gib mir zehn Kreuzer!« Kraus antwortete, er würde ihm das Geld ja gern geben, habe aber selber nichts. Darauf Altenberg: »Ich borg’s dir!«
Es gibt viele solcher Anekdoten über den berühmten Wiener Exzentriker und Bohemien. Für ihn war es selbstverständlich, dass andere für ihn zahlten – er sorgte schließlich für die Unterhaltung und erteilte gute Ratschläge über gesunde Bekleidung (die unverzichtbaren »Reformsandalen«) und bekömmliche Diäten, die vor allem aus rohen Eiern und Milchprodukten bestanden |71| und mit deren Hilfe der Mensch mindestens 130 Jahre alt werden könne. Dies alles gehörte zu seiner Philosophie, nach der der Lebensstil eines Künstlers unbedingt Teil seiner Kunst sein sollte. »Es ist das Wesen des Künstlers«, schrieb er 1895, vor dem Erscheinen seines ersten Buches, »aus seiner Seele die Welt zu vermehren.«
Peter Altenberg wurde am 9. März 1859 als Richard Engländer in Wien geboren. Seinen Namen änderte er nicht, um an erster Stelle des Verlagsverzeichnisses zu stehen, wie einige böse Zungen behaupteten, sondern in Erinnerung an seine Liebe zu der dreizehnjährigen Bertha Lecher, die von ihren Brüdern »Peter« gerufen wurde und der er 1878 in dem Kurort Altenberg begegnet war. Als junger Mann hatte er
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