Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Haus des Buecherdiebs

Titel: Das Haus des Buecherdiebs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Pechmann
Vom Netzwerk:
Libri den Auftrag, einen vollständigen Katalog der Handschriften in den öffentlichen Bibliotheken Frankreichs zu erstellen, und er machte sich nicht nur mit dem größten Eifer und Vergnügen ans Werk, sondern nutzte seine Tätigkeit schamlos aus, um auf Bücherjagd zu gehen und seine eigene üppige Sammlung zu ergänzen. Er zog von Stadt zu Stadt, katalogisierte penibel die Manuskripte, wobei ihm seine hervorragenden Kenntnisse vor allem dazu dienten, sich die erlesensten Stücke unter den Nagel zu reißen. |103| Zuweilen nahm er nur einzelne Blätter mit, die sich aufgrund des maroden Zustands der Einbände leicht entwenden ließen. Aber auch ganze Folianten, wie die heute als Ashburnham-Pentateuch bekannte Handschrift, waren vor dem gierigen Grafen nicht sicher. Oft tauschte er einfach wertvolle Stücke gegen wertlose Scharteken aus. Bald wurde sein schändliches Tun ein wenig zu auffällig, es gab Klagen und Verdächtigungen von kleinen Beamten und Bibliothekaren, die zu nichts führten, weil der Graf mächtige Freunde hatte, die von seinen Raubzügen profitierten – unter ihnen auch Premierminister François Guizot, der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zu unterbinden versuchte. Da Libri einfach keinen Platz mehr für weitere Bücherschätze hatte, begann er, seine Kostbarkeiten einzeln an reiche Sammler zu verscherbeln. 1847 entschloss er sich schließlich schweren Herzens, seine einzigartige Sammlung komplett zu verkaufen. Er verhandelte mit der Handschriftenabteilung des British Museum und der Bibliothek in Turin, doch schließlich erwarb Lord Ashburnham sechzehn Kisten für rund 8000 Pfund. Gleichzeitig ließ der Graf Teile seiner Bibliothek in Paris versteigern. Bei der Auktion wurde jedoch offenbar, woher die Bücher tatsächlich stammten. Viele trugen noch die nur unzureichend entfernten Stempel der öffentlichen Bibliotheken, die Libri geplündert hatte. Nach der Revolution von 1848 und der Ausrufung der Zweiten Republik gab es plötzlich keine hohen Regierungsbeamten mehr, die ihn vor der Strafverfolgung hätten schützen können. Graf Libri wurde angeklagt und zu zehn Jahren |104| Gefängnis verurteilt. Als das Urteil über den Dieb gefällt wurde, war dieser jedoch längst mit seiner Frau und achtzehn Kisten voller Bücher nach England geflohen. Der Schriftsteller Prosper Mérimée glaubte trotz all dieser Enthüllungen felsenfest an die Unschuld seines Freundes: »Für mich, der ich immer gesagt habe, dass die Sammlerliebe Menschen zum Verbrechen verleitet, ist Libri der ehrlichste aller Sammler, und ich kenne niemanden außer Libri, der ein Buch in die Bibliothek zurücktragen würde, das andere gestohlen haben.«
    Graf Libri starb am 28. September 1869 einsam, verarmt und ohne Bücher in Fiesole bei Florenz. Nachdem er seine Sammlung an Lord Ashburnham verschachert und dieser einzelne Raubstücke an die französischen Bibliotheken retourniert hatte, gab es niemanden mehr, der sich für seine Rehabilitation einsetzen wollte.
    Obwohl Libri oft als berühmtester Bibliomane genannt wird, steht diesem Ehrentitel seine Geldgier entgegen. Denn ein echter Büchernarr sollte, wenn überhaupt, nur aus einem einzigen Grund seine Schätze veräußern – wegen des verflixten Platzmangels! Der englische Erzdiakon Meadow sah sich aus ebendiesem Grund gezwungen, einen Teil seiner geliebten Sammlung versteigern zu lassen. Bleich und verstört erschien er zur Auktion, doch der Verlust war für ihn so schmerzlich, dass er kurz darauf die Flucht ergriff. Dann kehrte er verkleidet zurück, um für seine eigenen Bücher zu bieten.
    In seiner Leidenschaft wurde der Geistliche nur von Richard Heber, einem Freund Sir Walter Scotts, übertroffen. |105| Wenn Heber ein Buch sah, musste er es besitzen. Er kaufte ständig, überall und bei jeder Gelegenheit – einmal erwarb er sogar 30 000 Bände auf einen Schlag. Der Funke, der dieses Höllenfeuer der Sucht entzündet hatte, war ein recht banales Erlebnis. Während des Studiums hatte Heber Bücher nur zum Zweck der Fortbildung erstanden, bis er einmal zufällig über »Valley of Varietie«, ein seltenes Werk des Renaissancedichters Henry Peacham aus dem Jahr 1638, stolperte. Ein Freund meinte, dies sei »ein ziemlich kurioses Werk«, und von diesem Augenblick gab es kein Halten mehr. Gegen Ende seines Lebens besaß Heber laut Thomas Frognall Dibdin, einem frühen Chronisten der Bibliomanie, 147 000 Bücher – andere Quellen sprechen von 200 000 bis 300 000 Bänden –,

Weitere Kostenlose Bücher