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Das Haus des Buecherdiebs

Titel: Das Haus des Buecherdiebs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Pechmann
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Gutenberg-Bibel.
    1860 wurde der zerstörungswütige Moralist überführt. Sechshundert Diebstähle und Fälle von Vandalismus |94| wurden ihm nachgewiesen. Ein Motiv für die Untaten konnte nicht gefunden werden.
    Auch Edward FitzGerald, der Übersetzer zahlreicher arabischer und griechischer Klassiker, war kein ungebildeter oder unkultivierter Mann, doch riss er die Seiten, die ihm gefielen, aus seinen Lieblingsbüchern heraus und ließ diese neu binden, um aus den bedauernswerten Fragmenten eine ganz individuelle Bibliothek zusammenzustellen. Anatole France berichtet indes von einem Pariser Bibliomanen, der jene Stellen aus den Büchern gewaltsam entfernte, die ihm missfielen oder die ihm anstößig erschienen, und sogar der große Voltaire scheute sich nicht, alles aus seiner Bibliothek und seinen Büchern zu tilgen, was ihm überflüssig oder nutzlos vorkam. Auch Shakespeares Dramen, die er »mons tröse Farcen« nannte, fielen seinem Zorn zum Opfer.
    Man kann diesen Vandalismus verurteilen, doch betrifft er glücklicherweise nur wenige Exemplare und stellt, anders als die Zensur, keine Bevormundung anderer Leser dar. Es handelt sich dabei auch nicht um eine mutwillige Zerstörung aus reiner Dummheit, wie die abscheuliche Unsitte, einmal gelesene Bücher wegzuwerfen, oder aus herzlosem Kalkül, wie die großangelegte Entsorgung von Druckwerken nach der deutschen Wiedervereinigung. Kurz nach dem Fall der Mauer wurde der ostdeutsche Buchmarkt vom Angebot westdeutscher Verlage überschwemmt, während die Bücher der DDR-Verlage aus den Regalen verschwanden. Vieles galt plötzlich als unverkäuflich und wirtschaftlich wertlos. Dass Bücher »makuliert«, das heißt aus dem Programm genommen, |95| eingezogen und vernichtet werden, gehört traurigerweise zur Routine – aber Hunderttausende neuwertige Bücher auf den Müll zu werfen stellt einer Kulturnation kein gutes Zeugnis aus. Hinzu kam noch die Schließung von ungefähr 15 000 öffentlichen Bibliotheken und die Vernichtung ihrer Bestände, die – so wird vermutet – insgesamt bis zu 200 Millionen Bände umfassten. Vereinzelt gab es Versuche, sich dem Wahnsinn entgegenzustellen. Der Schauspieler Peter Sodann rettete rund 500 000 Bücher und brachte sie zeitweise in seinem Theater in Halle unter, und auch Pastor Martin Weskott, der ein Foto von den verrottenden Bücherbergen in der Zeitung gesehen hatte, beschloss, so viel wie möglich zu bewahren: Kochbücher, Handbücher für Ärzte und Chirurgen, juristische Fachliteratur, aber auch experimentelle Lyrik und Klassiker wie Tolstoi und Anna Seghers. Um ein Zeichen gegen eine Barbarei zu setzen, »bei der Schriftsteller, Lektoren, Setzer, Buchdrucker und andere erniedrigt und gedemütigt werden«, sammelte Weskott die verschmähten Bände in einem Lagerhaus, wo sie noch heute von Interessenten gegen eine Spende für die Hilfsorganisation »Brot für die Welt« erworben werden können. Das Bild von 400 000 Büchern auf einer Leipziger Müllhalde erscheint dem wahren Bibliophilen zweifellos jämmerlich, traurig und widersinnig, aber vielleicht bringt es den einen oder anderen dazu, über Fehler der Vergangenheit nachzudenken und sich für einen respektvollen Umgang mit Kulturgütern zu engagieren.
    Zuweilen werden Bücher absichtlich zerstört, um den |96| Wert der verbleibenden Exemplare zu erhöhen – ein unter Sammlern keineswegs seltenes Phänomen, das im schlimmsten Fall dazu führt, dass ein Werk ganz und gar verschwindet. Holbrook Jackson erzählt in seiner »Anatomy of Bibliomania« von einem Captain Douglass, der in einer Londoner Buchhandlung mehrere hundert Exemplare des Buches »Points of Humour« mit den berühmten Karikaturen von George Cruikshank kaufte und alle bis auf drei Bände verbrannte. Allein die Vorstellung, dass jemand so weit gehen kann, ist beängstigend, doch handelt es sich auch bei solchen Zerstörungsakten lediglich um bedauerliche Einzelfälle. Die größten Feinde der Buchkultur sind vielmehr jene monomanischen Sammler, die sich auf Illustrationen oder Titelblätter spezialisiert haben und nicht davor zurückschrecken, die schönsten und kostbarsten Druckwerke auseinanderzureißen, um an das Objekt ihrer Begierde zu gelangen. Im Englischen gibt es für diese traurige Abart der Bibliomanie einen eigenen Begriff, »Grangeritis« – das zugehörige Verb heißt »grangerize«. Es geht vermutlich auf Reverend James Granger zurück, der Ende des 18. Jahrhunderts lebte und bei Antiquaren

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