Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Haus des Buecherdiebs

Titel: Das Haus des Buecherdiebs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Pechmann
Vom Netzwerk:
feilgebotenen Bände nicht stück-, sondern gleich meterweise. Seine eher unspezifischen Einkäufe schleppte er in großen Taschen nach Hause. Als er seine Wohnung auf diese Weise angefüllt hatte, |100| kündigte er den Mietern seines Hauses, um auch deren Räume für seine Sammlung nutzen zu können. Er besaß sechs Häuser, die er innerhalb von zwanzig Jahren auf diese Weise Zimmer für Zimmer, vom Keller bis zum Dachboden, mit Büchern vollstopfte. Auf rund 800 000 Bände schätzte man den Umfang seiner Bibliothek. Doch als Boulard im Sterben lag, konnte er sich nicht erinnern, wann, wie und warum er all die Bücher gekauft hatte. Als sein Besitz 1828 versteigert wurde, dauerte die Auktion 115 Tage und sorgte für einen beträchtlichen Preissturz bei den angesehenen Antiquariaten der Stadt.
    Jacques-Simon Merlin, ein Zeitgenosse Boulards, war etwas bescheidener. Seine Privatbibliothek füllte lediglich zwei fünfstöckige Häuser, die er eigens zu diesem Zweck gekauft hatte. Der Buchhändler und Verleger hatte seine Bestände zu einem äußerst günstigen Preis von der französischen Regierung erworben. Während der Revolution hatte man den Besitz der Feinde der Republik, darunter ganze Bibliotheken, beschlagnahmt. Die Bücher der Aristokraten lagerte man bald in riesigen Depots in Paris, Lyon und Dijon, ohne genaue Vorstellung, was mit ihnen anzufangen sei. Man hatte wohl darauf gehofft, die bibliophilen Schätze der Adelsfamilien und auch der Klöster irgendwie zu Geld machen zu können, dabei allerdings nicht bedacht, dass die Interessenten und potentiellen Käufer eben jenen vornehmen und gebildeten Kreisen angehörten, deren Besitz man zuvor konfisziert hatte und die inzwischen auf Betreiben der Revolutionsregierung ermordet oder vertrieben worden oder schlicht zu arm waren, um an den |101| Rückkauf ihrer verlorenen Bibliotheken auch nur zu denken. Also gammelten die wertvollen Bände über Jahre und Jahrzehnte in den traurigen Lagerhallen ungelesen vor sich hin. Gelegentlich fanden Räumungsverkäufe statt, bei denen die Nachlässe gleich kiloweise feilgeboten wurden. Viele ausländische Antiquare nutzten die Gelegenheit und füllten wie Monsieur Merlin kostengünstig ihre Bestände. Der Rest wurde an die öffentlichen Bibliotheken verteilt, wo er zwar allen Bürgern zugänglich war, aber praktisch kaum benutzt wurde. Die wenigen, die sich für die Bücher interessierten, wurden durch ungewöhnliche Öffnungszeiten und eine strenge Kleiderordnung abgeschreckt. Merlins Großeinkauf mag unmäßig erscheinen, führte aber immerhin dazu, dass die kostbaren Stücke erneut in liebevolle Hände gelangten.
    Nun war Merlin eher Geschäftsmann als Bibliomane. Graf Libri hingegen war Geschäftsmann, Bibliomane und Bücherdieb – und als Letzterer brachte er es zu einer besonderen Meisterschaft. Gugliemo Bruto Icilio Timoleone, Conte Libri-Carucci della Sommaia, der sich seiner Verwandtschaft mit Galileo Galilei rühmte, wurde am 2. Januar 1803 in Florenz geboren. Er stammte aus einer alten Adelsfamilie, studierte Jura und Mathematik und machte sich bereits in jungen Jahren als Naturwissenschaftler einen Namen. Mit zwanzig lehrte er als Professor in Pisa, binnen eines Jahres wurde er aber von Großherzog Leopold II. aus gesundheitlichen Gründen emeritiert, durfte jedoch weiterhin sein Gehalt beziehen. Diese großzügige Geste hielt ihn freilich nicht |102| davon ab, sich 1830 an einem Putsch gegen seinen Gönner zu beteiligen. Das Scheitern seines politischen Engagements zwang ihn zur Flucht nach Frankreich. Er gelangte schließlich nach Paris, wo er schnell Karriere machte. Ab 1832 lehrte er Mathematik am College de France, wurde Ritter der Ehrenlegion und Herausgeber des »Journal des Savants«. Die Wissenschaft war sein Beruf, Bücher und alte Manuskripte aber waren seine Leidenschaft. Er handelte mit kostbaren Handschriften und behielt die schönsten und seltensten Exemplare für sich, was zwangsläufig dazu führte, dass sein Wohnraum immer knapper wurde. »Das Zimmer, in das wir geführt wurden«, schrieb ein englischer Besucher, »war nicht größer als etwa fünf Meter in der Breite, aber ringsum reichten die Regale mit Manuskripten bis hoch an die Decke. Die Fenster waren mit doppelten Vorhängen verhüllt, ein Kohlenfeuer brannte auf dem Rost, dessen Hitze sich mit dem Geruch des aufgehäuften Pergaments verband und so unerträglich war, dass ich förmlich nach Luft ringen musste.«
    1841 erhielt Graf

Weitere Kostenlose Bücher