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Das Haus des Buecherdiebs

Titel: Das Haus des Buecherdiebs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Pechmann
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nie durchsetzen sollte und wieder vergessen wurde. Ein Buch in Form eines Büffelschädels. Eine alte italienische Ausgabe von Dantes »Inferno« in weißer Tinte auf purpurrotem Papier. Board schuf nach und nach eine bizarre Bibliothek, ein Kuriositätenkabinett der edlen Buchkunst und des sonderbaren Kitsches, zu dem es kein Verzeichnis, keine Bibliographie, keinerlei Ordnungskriterien gab. Was wertvoll war und was nicht, entschied allein er. Erst als sein zweihundert Jahre altes Holzhaus allmählich unter der Bücherlast zusammenzubrechen drohte, überlegte er, ob es nicht besser wäre, zumindest die Duplikate |135| zu verkaufen. Sogar die Universität Yale zeigte Interesse, doch der Abschied fiel schwer. So verbrachte Fred Board seinen Lebensabend inmitten seiner Schätze und überließ der Nachwelt die Entscheidung, was damit anzufangen sei. Nach seinem Tod im Jahr 2005 wurden die einzelnen Abteilungen der Sammlung, wie die etwa 13 000 Miniaturbücher oder die seltenen Reiseführer der »American Guide Series«, an der arbeitslose Journalisten und Schriftsteller mitgewirkt hatten, an verschiedene Antiquariate verkauft. Dass Boards Wunderkammer nicht erhalten blieb, ist bedauerlich, aber vielleicht weniger wichtig als die Tatsache, dass sie überhaupt existierte.
    Bibliomanie ist oftmals die besessene Liebe zum Buch an sich, seiner Form und Gestalt oder auch nur zu seinem materiellen Wert. Die Liebe zum Inhalt, zur sprachlichen, philosophischen oder poetischen Essenz, der wahren Seele des Buches, bei vollkommener Gleichgültigkeit gegenüber Wert, Zustand, Form und haptischer Qualität, ist unter Sammlern vielleicht weniger häufig verbreitet. Richard Pils erzählte mir einmal von einem alten Bauern, dem Franz aus Böhmersdorf, der sein schlichtes Häuschen mit Büchern angefüllt hatte. Die Nachbarn hielten ihn für verrückt, nicht weil er Bücher sammelte und hortete, sondern weil er sie las, studierte, die für ihn wichtigen Stellen mit unzähligen Merkzetteln markierte, aber mit niemandem über die Dinge sprach oder sprechen konnte, die ihn so sehr beschäftigten. Der schweigsame Einsiedler starb unverstanden, umgeben nur von seinen Büchern und seinen Notizen. Die |136| Erben seines kleinen Hofes machten sich nicht die Mühe, das Geheimnis seiner Leidenschaft zu ergründen, und warfen seine Hinterlassenschaft auf den Müll.
    Das Jagdfieber des Bibliomanen, der sich an besonderen Einzelstücken und Kuriositäten ergötzt, lässt sich nur schwer mit der unbändigen Lesegier des Bauern Franz in Einklang bringen, doch soll uns beides daran erinnern, dass die wahre Bücherliebe ihren Antrieb und ihre Erfüllung in der Harmonie von Form und Inhalt sucht. Dem echten Bücherfreund wird das gedruckte Wort nicht weniger bedeuten als die Qualität des Papiers, des Einbands und der Bindung. Die kostbarsten Bücherperlen sind zweifellos jene, deren unsterbliche Seele ebenso einzigartig ist wie ihre vergängliche Hülle.
    Unter diesen seltenen Kostbarkeiten ist »Bibi-la- Bibiste « von Raymonde Linossier sicherlich eine der kuriosesten. Es ist mit seinen fünf Kapiteln auf fünf Seiten – wobei das längste Kapitel lediglich fünf Zeilen Text umfasst – vermutlich das kürzeste Buch, das je geschrieben wurde. Hier das komplette erste Kapitel mit dem Titel »Enfance« (Kindheit):

    Ihre Geburt glich jener der anderen Kinder
    Deshalb erhielt sie den Namen Bibi-la-Bibiste
    (So war beschaffen die Kindheit von Bibi-la-Bibiste)

    Ezra Pound bewunderte die »absolute Klarheit und absolute Form« des Büchleins. Es wurde mittels einer Handpresse von der Frau des bei der Pariser Avantgarde besonders angesehenen Druckers Paul Birault auf limitiertem |137| Japanpapier in einer Auflage von 50 Exemplaren gedruckt und als elegante Broschüre gebunden. Madame Birault war wie ihr Mann eine Meisterin ihres Fachs, die vor keinem typographischen Wagnis zurückschreckte, und es hieß, sie sei sogar als Einzige in der Lage, die »Caligrammes« genannten Bildgedichte Apollinaires und seiner Schüler zu drucken.
    Aus dem literarischen Debüt der schon früh verstorbenen Juristin und Orientalistin Raymonde Linossier entstand eine kleine und inzwischen vollkommen vergessene Künstlerbewegung, die in den 1920er Jahren Ideen und Grundsätze des Dadaismus vorwegnahm. Die Pariser Buchhändlerin Adrienne Monnier beschrieb den »Bibismus« als Kunstform, die »in Plüschphantasien, muschelverzierten Schmuckkästchen, Überraschungspostkarten,

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