Das Haus des Buecherdiebs
er aus Geldnot verkaufen. Doch während er, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, konventionelle Porträts und Illustrationen anfertigte und jede Auftragsarbeit annahm, die er bekommen konnte, lernte er insgeheim Griechisch und Hebräisch und schrieb an seinen großen prophetischen Werken »Vala oder die vier Zoas«, »Milton« und »Jeru salem «. Am 12. August 1827 starb er als Prophet ohne Gemeinde. Seine poetischen Werke blieben weitgehend unbekannt, bis sie einige Jahrzehnte später von den Präraffaeliten und dann auch von den wichtigen Autoren der klassischen Moderne wiederentdeckt wurden – von William Butler Yeats, T. S. Eliot, James Joyce, Ezra Pound und Dylan Thomas. Die von William Blake eigenhändig gedruckten Originale überdauerten nur in verschwindend geringer Stückzahl. Von seinen handkolorierten »Songs of Innocence« gibt es nur noch drei Exemplare, von seinem visionären Gedicht »Milton« nur zwei. Die Übrigen finden sich in den Bibliotheken der Hölle.
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|151| Von Buch zu Buch
Lasst uns Bücher lieben, wie wir die Liebe lieben.
Holbrook Jackson
Das einzig wirksame und wünschenswerte Heilmittel gegen die Bibliomanie ist zweifellos die Bibliophilie. Denn diese hat zuweilen die erfreuliche Nebenwirkung, neben dem Bücherfreund auch andere Menschen glücklich zu machen, indem sie über die Grenzen der eigenen Bibliothek hinausstrahlt. Ihre fanatische Schwester, die Bibliomanie, hat sich hingegen allzu oft als Weg in die Dunkelheit, ins Unglück und in die Einsamkeit erwiesen, wie das Schicksal einzelner Büchernarren zur Genüge beweist.
Einer der berühmtesten Sammler des 19. Jahrhunderts, Sir Thomas Phillipps, war von dem Gedanken besessen, jede erhaltene Handschrift auf Pergament aufzukaufen und in seinem Anwesen Thirlestaine House in Cheltenham aufzubewahren. Ohne besondere Kenntnisse von alten Manuskripten kaufte er einfach alles und bezahlte jeden Preis. Das Gefühl, das ihn zu immer neuen Erwerbungen antrieb, bezeichnete er selbst als Manie, doch glaubte er, damit auch höheren Zwecken zu dienen. Er wollte die obskuren Bücher für die Nachwelt bewahren und das Interesse der Öffentlichkeit an |152| den halbvergessenen Werken wachhalten, doch sein eigentliches Motiv war wohl weniger selbstlos: »Ich will von jedem Buch auf der Welt ein Exemplar haben«, gestand er seinem Biographen A. N. L. Munby.
Diesem Ziel kam er recht nahe. Im Jahr 1837, in der Mitte seines Lebens, besaß Sir Phillipps nach seinem als Privatdruck veröffentlichten Katalog bereits 23 837 seltene Bücher und Manuskripte. Munby beschrieb den eifrigen Sammler als einen eitlen, egozentrischen, dogmatischen, eigensinnigen, streitsüchtigen und heuchlerischen Menschen, dessen Erfolg sich wohl gerade diesen unschönen Eigenschaften verdankte. Doch all die Kostbarkeiten, die er aufhäufte, konnten Sir Phillipps nicht glücklich stimmen. Ständig quälte ihn die Sorge, seine Sammlung könne nach seinem Tod in alle Winde zerstreut werden. Schließlich versuchte er, die britische Regierung für den Erhalt der Bibliothek in Thirlestaine House zu gewinnen. Benjamin Disraeli, der damalige Schatzkanzler, lehnte jedoch mit Bedauern ab, denn die gestellten Bedingungen waren schlicht unannehmbar: Die Regierung sollte alle Kosten tragen, doch die Kontrolle über Zugang und Nutzung der Sammlung wollte ihr Besitzer nicht aus der Hand geben.
Verbittert über die Absage, entwarf Sir Phillipps ein kompliziertes Testament, das sicherstellen sollte, dass jedes Buch seiner Sammlung für immer an seinem Platz blieb, dass kein Buchhändler oder Antiquar die Bände anrührte oder umordnete, dass kein Katholik die Bibliothek betrat und dass der Zugang auch seiner Tochter Henrietta und deren Mann, dem Shakespeare-Experten |153| James Orchard Halliwell, auf Lebenszeit verwehrt blieb. (Phillipps hielt den Schwiegersohn nämlich für einen skrupellosen Bücherdieb, da während dessen Lehrtätigkeit am Trinity College siebzehn wertvolle Manuskripte verschwunden waren.) Die Vorkehrungen waren vergeblich. Einige Jahre nach dem einsamen Tod des unglücklichen Büchernarren wurde sein Testament für ungültig erklärt, und sein Enkel Thomas FitzRoy Fenwick verbrachte mehrere Jahrzehnte damit, die wertvollen Bände an Bibliotheken und Privatsammlungen in aller Welt zu verhökern.
Sir Phillipps’ Schicksal offenbart die Tragik des Bibliomanen, der seine Bücherschätze zu sehr liebt, um sie zu teilen. Dabei lag das Glück in greifbarer
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