Das Haus des Buecherdiebs
»Verlo renem Paradies«, zum »Buch Hiob« und weniger bedeutenden Werken. Doch mit dieser »gewöhnlichen« Arbeit gab er sich nicht zufrieden und experimentierte ständig mit neuen, komplizierten Druckverfahren, um seine eigenen Texte zu gestalten und seine eigenen Bücher zu kreieren. Der Geist seines in jungen Jahren verstorbenen Bruders Robert half Blake angeblich bei der Erfindung einer neuartigen Methode, die er »illuminiertes Drucken« nannte und deren Geheimnis erst 1947 gelüftet wurde: Blake gravierte den handgeschriebenen Text und die zugehörige Illustration auf eine Kupferplatte und kolorierte den fertigen Druck von Hand. Die Farbgebung und Anordnung der Buchseiten, die Blake mit Hilfe seiner Frau Catherine auf diese Weise herstellte, variierten |148| also von Exemplar zu Exemplar. Keine zwei Ausgaben waren identisch, und die Anzahl der gedruckten Bücher war so gering, dass sie als Kunstwerke von hohem Wert schon damals nur einem kleinen Kreis von Kennern und Liebhabern zugänglich waren. Bis heute zählen Blakes Originaldrucke zu den begehrtesten Stücken betuchter Sammler.
Doch Blakes Bücherwahn hatte mit dem Wert seiner Drucke, mit ihrer Seltenheit und eigenartigen Schönheit, nichts zu tun. Die Bücher, die er schuf, wollten etwas viel Größeres: Eine neue Bibel, eine »Bibel der Hölle« sollte entstehen. Die politischen, religiösen und philosophischen Irrlehren der Vergangenheit sollten mit einer neuen Weltanschauung endlich ausgelöscht werden. In einer Serie greller Traumbilder und ketzerischer Argumentationen überwand Blake die einfältige Trennung in »Gut« und »Böse« der von ihm verachteten konventionellen Moral. Stattdessen sollten die gegensätzlichen, aber dennoch harmonierenden Kräfte »Vernunft« und »Energie« regieren, ohne deren Vereinigung es keinerlei künstlerische oder gesellschaftliche Entwicklung gäbe.
Eine der schillerndsten und sonderbarsten Visionen, »The Marriage of Heaven and Hell«, die das Entstehen jener revolutionären Bibel ankündigt, beschreibt eine Druckerei in der Hölle: In der ersten Kammer säubert ein Drachenmensch eine Höhlenmündung von Unrat, in der zweiten werden einer sich ringelnden Viper Gold, Silber und Edelsteine geopfert. In der dritten Kammer weilt ein Adler, dessen gewaltiger Flügelschlag dem Höhleninneren den Anschein von Unendlichkeit verleiht, |149| während adlergleiche Männer Paläste auf gewaltigen Felsvorsprüngen erbauen. In der vierten erscheinen Löwen aus flammendem Feuer, die Metalle zu lebendigen Flüssigkeiten schmelzen. Namenlose Formen, die die Metalle im unendlichen Raum bilden, wie geschmolzenes Blei, das man in kaltes Wasser gießt, finden sich in der fünften Kammer und nehmen in der sechsten die Gestalt von Büchern an, die in Bibliotheken aufgestellt werden.
Blakes »Drachenmensch« kehrt auf einem unheimlichen Gemälde wieder. Es trägt den Titel »Der Geist eines Flohs« und zeigt ein menschenähnliches Wesen mit schlangenhafter Schuppenhaut, das in einer Hand eine hölzerne Schale hält. Im Hintergrund sieht man den Schweif eines Kometen. Das Monster trägt eine Schale voll Blut und stellt die Wiedergeburt eines geizigen Menschen dar. Doch das Erstaunliche an dem Bild ist, dass Blake dieses Ungeheuer wirklich gesehen hat. Als ihn ein Freund eines Tages besuchte, fand er Blake mit seinem Zeichenblock regungslos an der Kellertreppe. Der Freund erkundigte sich höflich, was er denn vorhabe. Er habe, erzählte Blake, einen abscheulichen Dämon mit Augen wie glühende Kohlen aus dem Keller aufsteigen sehen – und nun warte er darauf, dass das Monstrum zurückkehre, um es zu porträtieren.
Blakes ungewöhnliche Bilder und Texte waren nicht nur von den theologischen und okkulten Schriften inspiriert, die er seit seiner Jugend verschlang, oder den Drucken, die er schon in der Kindheit zu sammeln begonnen hatte. Er beschrieb und zeichnete das, was er |150| wirklich sah – fremdartige Wesen aus einem bizarren Zwischenreich, unbegreiflich schöne und schreckliche Gestalten, die unbemerkt unter den Menschen wandelten. Engel, die in Bäumen saßen, und Teufel, die aus dem Keller hervorkrochen. Der Wahn war seine Wirklichkeit, und sie existierte nicht nur in seinen Träumen und Büchern.
Gegen Ende seines Lebens zog sich Blake immer weiter in jenes unbekannte Land zurück, dessen Schemen und Umrisse sich in seinen von Traumsymbolen überladenen Werken spiegeln. Seine umfangreiche Sammlung wertvoller Drucke musste
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