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Das Haus des Buecherdiebs

Titel: Das Haus des Buecherdiebs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Pechmann
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die wahre Bedeutung der griechischen Handschriften richtig einschätzen konnte. Gerissene Buchhändler hatten bereits begonnen, fehlerhafte Abschriften in Umlauf zu bringen, doch Tyrannio vermittelte die wichtigen Manuskripte weiter an Andronikos von Rhodos, dem neuen Scholarchen des Peripatos, der in der Folge eine für künftige Generationen maßgebliche Edition der aristotelischen Werke herausbrachte. Was mit der Bibliothek nach dem Tod des Faustus 46 v. Chr. geschah, ist nicht bekannt. Offenbar wurden die Bücher noch zu Lebzeiten versteigert, um Schulden zu tilgen. Doch dank Tyrannio fanden zumindest einige Originalmanuskripte den Weg zurück nach Athen.
    Heute vermutet man, dass Neleus nur mit einer vergleichsweise bescheidenen Auswahl an Autographen und Hypomnemata (privaten Aufzeichnungen) nach Skepsis floh. Apellikons Fund, Sullas Raub und Tyrannios Rückführung der seltenen Schriften waren also für die Überlieferung der aristotelischen Werke nicht entscheidend. Die Odyssee der Manuskripte bleibt eine eher unbedeutende Fußnote in der Literatur- und Philosophiegeschichte. Sie ist jedoch durchaus ein faszinierendes Kapitel in der Geschichte der Bibliomanie mit Apellikon als Urahn aller Büchernarren.

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    |164| Die Galerie der Bücherdiebe
    Ich kann nicht ohne Bücher leben.

    Thomas Jefferson
    Bücher wurden gestohlen, seit es sie gibt und Menschen, die von dem Wunsch, sie zu besitzen, besessen sind. Und welche Strafe oder Drohung könnte einen wahrhaftig Besessenen vom Objekt seiner Begierde fernhalten? Doch vielleicht wirken die folgenden Zeilen aus einer Bibelhandschrift des 12. Jahrhunderts tatsächlich ein klein wenig abschreckend:
    Wer dieses Buch stiehlt,
    Soll den Tod erleiden,
    Soll im Kessel gekocht werden,
    Soll von Fallsucht und Fieber heimgesucht,
    Aufs Rad geflochten und gehängt werden.
    Amen.
    Im europäischen Mittelalter, vor der Erfindung des Buchdrucks, waren solche Bücherflüche trotz ihrer zweifelhaften Wirkung eine weitverbreitete Methode der Abschreckung. Man fragt sich, ob mit ihnen jemals ein bibliophiler Langfinger zur Vernunft gebracht wurde? Wohl kaum, aber ganz nutzlos sind sie auch nicht – zumindest |165| haben sie bislang niemandem geschadet. Niemandem außer den Dieben, vermutlich. Warum also nicht gleich die ganze Bibliothek durch fromme Magie absichern, so wie es Madame Genlis versuchte. Ihr im Original lateinischer Bannspruch lautet in der Übersetzung wie folgt:

    Drei Körper hängen aus ungleichen Gründen am
    Baum;
    Dismas und Gesmas und die Göttliche Macht in der
    Mitte;
    Dismas blickt himmelwärts,
    Der unglückliche Gesmas blickt in die Tiefe.
    Möge die Höchste Macht uns und das Unsrige
    beschützen.
    Lies diese Zeilen laut, und du wirst dein Eigentum
    nicht
    Durch Diebstahl verlieren.

    Stéphanie de Genlis schrieb um 1800 einige empfindsame Romane, mit denen sie die Sympathie und Begeisterung für den Hof Ludwigs XIV. neu zu entfachen versuchte – sehr zum Ärger Napoleons, wie sie selbst meinte. Ob die abergläubische Dame je ein Buch an dreiste Diebe verlor, ist leider nicht bekannt.
    In den alten Klosterbibliotheken vertraute man den Bannflüchen offenbar nicht allzu sehr, da man die kostbaren Handschriften auch mit Ketten sicherte. Zudem gab es strenge Regeln, die den Mönchen vorschrieben, wann sie welche Bücher entleihen durften. Das Entfernen |166| eines wertvollen Bandes aus den Bibliotheksräumen war verboten, wenn nicht mindestens eine weitere, bessere Kopie existierte. Meist durften nur Predigten, Biographien von Märtyrern und Heiligen und großformatige Bände tagsüber mitgenommen und privat gelesen werden. Ausnahmen gab es nur für kranke Klosterbrüder; doch auch diese mussten ihre Bücher vor Einbruch der Dunkelheit zurückbringen.
    Auch die strengsten Sicherheitsvorkehrungen konnten die Bücherdiebe nicht aufhalten. Ein Lutheraner namens Matthias Flacius wurde beispielsweise bezichtigt, Bücher und Manuskripte in den weiten Ärmeln seiner Kutte aus Klöstern geschmuggelt zu haben. Kardinal Passionei ging weniger diskret vor und warf bei seinen Inspektionsbesuchen die Bücher, nach denen sein Herz verlangte, gleich aus den Fenstern der Klosterbibliotheken. Unten wartete stets ein frommer Gehilfe mit einem Korb, der die Kostbarkeiten auffing und einsammelte. Auch nachdem Passionei 1755 zum Direktor der Vatikanischen Bibliothek ernannt worden war, wollte er sein altes Laster nicht ablegen. Er pflegte es insgeheim mit denkbar

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