Das Haus des Buecherdiebs
Als der Dieb schließlich gefasst war, hatten die Behörden große Probleme, all die kostbaren Raritäten zu retournieren, da sie von ihren Besitzern nicht vermisst worden waren.
Basbanes fragte Blumberg, ob er sich denn tatsächlich als »Retter der Vergangenheit« sehe, so wie es die Zeitungen berichtet hatten, und der Dieb nickte. Ja, er habe wirklich all die alten Dinge, den Trödel, die viktorianischen Türklinken und nicht zuletzt die Bücher retten wollen: »Naja, vielleicht versuche ich die Sache so zu rationalisieren. Es war eine Art – okay, ich will es mal so ausdrücken: Für mich waren die Bücher Leihgaben anderer Bibliotheken an meine Bibliothek. So stelle ich es mir vor. Ich weiß nicht, ob die es anders betrachten, aber |170| für mich war es so. Weil ich immer die Absicht hatte, alles zurückzugeben.«
Was Blumberg nach seiner Verhaftung die größten Sorgen bereitete, war nicht die zu erwartende Haftstrafe oder das Ausmaß und die Auswirkungen seiner Verbrechen, sondern der schlampige Umgang des FBI mit seiner Americana-Sammlung. Er hatte alles perfekt geordnet, nach Jahr, nach Bundesstaaten und Regionen. Er hatte sogar spezielle Abteilungen innerhalb seiner Sammlung zusammengestellt. Doch die Beamten packten alles wahllos in Container und schafften es in ein Lagerhaus in Omaha. Eine Gruppe freiwilliger Bibliothekare half beim Sortieren und bei der Rückgabe der Bücher. Nach drei Jahren blieben rund 3000 Bände übrig, deren Besitzer nicht ermittelt werden konnten.
Stephen Blumberg wurde wie ein gewöhnlicher Dieb zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt, eine Strafe, die man durchaus als zu hart empfinden kann, wenn man bedenkt, dass alkoholisierte Gewalttäter oft für unzurechnungsfähig erklärt und bei vergleichsweise mildem Strafmaß in Therapie geschickt werden. Aus der Sicht der Justiz war Blumberg wohl ein Krimineller, aus der Sicht eines Bibliophilen scheinen seine Vergehen jedoch verzeihlicher als jene der berüchtigten Biblioklasten und Grangeriten. Schließlich ließ er die Bücher nicht verkommen und machte sie nicht zu Geld, sondern würdigte sie, pflegte sie, katalogisierte und ordnete sie. Unter all den Bibliomanen, die ich in diesem Buch vorgestellt habe, war Blumberg einer der rücksichtsvollsten.
Und wer kann von sich behaupten, noch nie die übermächtige |171| Versuchung gespürt zu haben, die einen angesichts eines lang gesuchten, doch leider unerschwinglichen Büchleins befällt? Nicht jeder ist dazu geboren, ihr zu widerstehen. Den Unbeugsamen gebührt unser Respekt, doch die Nachgiebigen sollten wenigstens eine gute Entschuldigung parat haben: Sorgen Bücherdiebe denn nicht im Grunde nur dafür, dass all die wundervollen Bände nicht unbeachtet in morschen Regalen verstauben, sondern von Hand zu Hand weitergereicht werden und im Umlauf bleiben? So könnte man dieses spezielle Verbrechen auch als Wohltat an Büchern verstehen, die viel zu selten an die frische Luft kommen.
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|172| Das Haus der Bücherliebe
Lesen Sie, um zu leben.
Gustave Flaubert
All diese eigenartigen Fälle von Bibliomanie und Bibliophilie lassen mich daran zweifeln, ob ich den Ehrentitel eines wahrhaftigen Büchernarren verdiene. Ich habe nie jemanden um eines Buches willen ermordet, ich habe kein einziges Buch gestohlen, keine gewaltigen Bücherberge gehortet, kein Vermögen für Bücher ausgegeben, keine Handpresse gekauft, um eigene Bücher zu drucken, und keinem genialen Schriftsteller Unterschlupf gewährt. In dem kleinen Zimmer, in dem ich dies schreibe, finden sich lediglich um die dreitausend Bände, die mein selbstgebautes Regal nur ein einziges Mal und auch nur teilweise zum Einsturz brachten. Auch die wenigen Bücher, die ich übersetzt und veröffentlicht habe, reichen nicht, um mir eine Fußnote in den Annalen des Bücherwahns zu sichern.
Aber wenn ich ein Haus
hätte
, wäre es selbstverständlich voller Bücher – nicht, weil ich davon besessen wäre, so viele Bücher wie möglich zu besitzen, sondern schlicht und einfach, weil ich dann endlich ausreichend Platz hätte, um andere, vielleicht schönere Arten der Bücherliebe zu entfalten – um all den geschmähten, vergessenen |173| und ungeliebten Büchern auf dieser Welt ein Zuhause zu geben.
Ich träume von einem Bücherasyl! Eine Unterkunft für Bücher, die auf Kaffeehaustischen liegengeblieben sind oder achtlos in Zugabteilen zurückgelassen wurden, die auf herbstlichen Parkbänken und in elenden Wühlkisten Wind
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