Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
Nase drang.
    Jupiter wurde mit einemmal sehr ruhig. Aus dem Augenwinkel sah er, wie sich der Gittersteg in seinem Rücken mit Gestalten füllte, sah Lichter durch die künstliche Grotte geistern. Er hörte auf, sich zu bewegen, blickte zu Coralina, sah, daß sie ihn anschrie und ihm eine Hand entgegenstreckte, nur noch zwei Meter von ihm entfernt … und traf seine Entscheidung. Er hing am Sicherungsseil, während Janus den Fluten und Strudeln hilflos ausgeliefert war; er mußte es versuchen!
    Noch einmal kreuzte sein Blick den Coralinas, und sie erkannte, was er vorhatte.
    »Nein!« brüllte sie. »Tu das nicht!«
    Jupiter schenkte ihr ein letztes Lächeln, dann holte er tief Luft und ließ das Seil los.
    Er glaubte, Coralina schreien zu hören, versuchte während des Falls ihr Gesicht im Blick zu halten, weil er dachte, es sei schön, wenn sie das Letzte wäre, was er sah, und dann knallte er auf die Oberfläche und war nicht im mindesten auf die furchtbaren Kräfte vorbereitet, die sofort an ihm rissen wie Henkersgäule bei einer mittelalterlichen Vierteilung.
    Das Wasser war sehr viel kälter, als er erwartet hatte, und sekundenlang war es, als bliebe sein Herz stehen, als ersterbe alles Leben in ihm. Doch dann gelang es ihm, Luft zu holen, während er zugleich in einen Strudel geriet. Seine Hände stießen gegen etwas, umfaßten Stoff, dann einen Arm. Er sah Janus’ Hinterkopf ganz nah vor seinem, dann sein Gesicht, sah, daß er die Augen geschlossen hatte, den Mund weit aufgerissen, die Arme kraftlos im Spiel der Wassermassen.
    Jupiter schrie, als etwas seine Füße zu packen schien und ihn nach unten zerrte, Finger aus purem Wasser, die geballte Macht des Strudels. Janus wurde ihm entrissen, er schrie seinen Namen, aber nur Blasen stiegen aus seinem Mund auf, und da erst begriff er, daß er wieder unter Wasser war, umgeben von glasharter Schwärze wie ein in Bernstein gefangenes Insekt. Etwas Helles sauste an ihm vorüber, noch einmal Janus’ Gesicht, mit auf und zu klappendem Unterkiefer, dann sah er ein letztes Mal die ausgestreckten Arme des Geistlichen, Hände, die nach ihm tasteten, hilfesuchend, in Todesangst. Jupiter hatte keinen Einfluß auf seine Bewegung innerhalb des Sogs, aber er versuchte trotzdem, nach Janus zu greifen, und hatte ihn fast erreicht, spürte kalte Haut unter seinen Fingerspitzen, tastete weiter, griff zu … und griff ins Leere.
    Denn im gleichen Moment riß ihn ein grausamer Ruck zurück nach oben, dem Licht entgegen. Sein Brustkorb war wie abgeschnürt. Seine Arme wurden hochgerissen, als sich das Sicherungsseil um seinen Oberkörper spannte, in seine Achselhöhlen schnitt und das Bewußtsein aus seinem Körper quetschte wie den Inhalt einer Zahnpastatube.
    Noch einmal versuchte er, Janus’ Namen zu brüllen. Er bekam Wasser in den Mund, spuckte und würgte, und dann glaubte er in einem endlosen klaren Augenblick den Priester zu sehen, wie er tief unter ihm davontrudelte, sich drehte und drehte und drehte wie ein Kreisel, die Hände der Oberfläche entgegengestreckt, während sein ersterbender Blick den Jupiters kreuzte und ihn hielt, bis sich die Schwärze über ihm schloß und ihn endgültig schluckte.
    Der Schmerz in Jupiters Oberkörper brannte wie Säure, die sich in seinen Brustkorb und Rücken fraß. Er bekam nun tatsächlich keine Luft mehr, und sein Denken war bereits zu wirr, um zu differenzieren, ob sich seine Lungen mit Wasser füllten oder ob es das Sicherungsseil war, das ihm den Atem nahm.
    Die Schwärze hüllte ihn ein, umkoste ihn, wiegte ihn in kalten, leblosen Schlaf. Noch einmal sah er Lichter über sich, helle Schemen, die über Stein und Wogen huschten. Doch dann erloschen auch sie, und die Kälte durchdrang seinen Leib, seinen Geist, und ließ sein Herz gefrieren.
    Coralina taumelte zurück, als sie sah, wie Jupiter im Wasser verschwand. Sie war wie betäubt, und als ihre Finger schließlich die Knoten ihres eigenen Sicherungsseiles lösten, geschah es wie in Trance. Ein Zittern durchlief ihren Körper, und ihr wurde so kalt, als wäre sie selbst in die eisigen Fluten des Reservoirs gestürzt.
    Auf der anderen Seite des Abgrunds füllte sich der Gittersteg mit Gestalten. Im Schein der Taschenlampen erkannte sie vage mehrere Männer in schwarzen Overalls. Einmal glaubte sie, Landini zu erkennen, war aber nicht sicher. Im Augenblick war es ohnehin bedeutungslos.
    Wieder schaute sie hinab aufs Wasser. Sie sah jetzt, daß sich Jupiters Sicherungsseil

Weitere Kostenlose Bücher