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Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Vermächtnis für die Menschheit.«
    »Die Carceri?« fragte Jupiter.
    »Wenn wir bei Piranesis Terminologie bleiben wollen -ja. Das größte Labyrinth, das je erschaffen wurde, unterirdisch, unfaßbar groß, über zahllose Ebenen. So groß, daß die Kirche es für die Hölle halten könnte.«
    Coralina betrachtete den Geistlichen von der Seite. »Sie glauben die Geschichte?«
    »Zumindest Cristoforo hat daran geglaubt, als er vom Haus des Daedalus sprach, meinen Sie nicht auch?« Janus erwiderte Coralinas Blick mit einem listigen Lächeln. »Aber es ist natürlich genauso, wie Sie sagen … es ist nur eine Geschichte. Und zwar eine von vielen, die im Laufe der Jahrhunderte um das Portal gesponnen wurden. Die Hölle, die Carceri, das Haus des Daedalus … Am Ende macht das keinen Unterschied, falls es uns nicht gelingt, das zweite Tor zu finden und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.«
    Coralina blieb stehen. »Darum geht es Ihnen?«
    »Unter anderem. Was dachten Sie?« Janus verharrte kurz, ging aber weiter, als er sah, daß auch Coralina sich wieder in Bewegung setzte.
    »Ist der Name Daedalusportal die offizielle Bezeichnung für das Tor?« fragte Jupiter.
    »Es gibt noch ein paar andere, aber die meisten, die davon wissen, nennen es so. Eine Legende besagt, daß der Geist des Daedalus noch immer in dem unterirdischen Labyrinth umherstreift und darauf wartet, befreit zu werden.«
    »Und was wird dann geschehen?« seufzte Coralina.
    »Mal wieder der vielbeschworene Weltuntergang?«
    Janus schüttelte den Kopf. »Ihre Neugestaltung. Die Welt wird neu geschaffen nach dem Bilde des Baumeisters. Sie wird, wenn Sie so wollen, labyrinthisiert.«
    In der Ferne war leises Rauschen zu hören.
    »Ist das das Reservoir?« fragte Jupiter.
    Janus nickte. »Wir sind gleich da.«
    Wenig später wurde der Lärm des Wassers ohrenbetäubend. Janus führte sie durch einen Torbogen, den sie bereits kannten. Dahinter, jenseits eines Gittersteges, öffnete sich der Abgrund des Reservoirs. Fünf Meter unter ihnen strudelte die schwarze Oberfläche, während sich aus der Öffnung in der gegenüberliegenden Wand ein breiter Strahl in die Tiefe ergoß.
    Der Steg war etwa zwei Meter breit. Die Öffnung, aus der das Reservoir gespeist wurde, lag auf der anderen Seite des Abgrunds, auf gleicher Höhe des Stegs; das Wasser aus dem Aquädukt sprudelte durch eine breite Rinne in der Mitte der Öffnung, rechts und links verliefen begehbare Simse. Nur dort bot das grobe Mauerwerk Halt für den Wurfanker.
    Die Entfernung zwischen Gittersteg und Öffnung betrug sieben, vielleicht acht Meter. Falls sie unterwegs abrutschten, würden sie in das Reservoir stürzen und in die Tiefe gerissen werden.
    Jupiter hatte noch nie im Leben einen Wurfanker geschleudert, und seine ersten Versuche schlugen kläglich fehl. Beim achten oder neunten Mal traf er immerhin bereits die Öffnung, auch wenn der Anker jedesmal in dem tosenden Wasser landete und fortgerissen wurde.
    Fast eine halbe Stunde war vergangen, ehe sich die Stahlspitzen endlich in den Mauerfugen eines der beiden Simse verhakten. Zu dritt zerrten sie an dem Seil, um die Festigkeit zu prüfen, aber der Anker bewegte sich nicht. Er saß tatsächlich fest.
    Sie zogen das Seil straff und verknoteten das Ende auf ihrer Seite mit einem mannsbreiten Wasserrohr. Janus nahm die beiden anderen Seile, die Cassinelli ihnen gegeben hatte, und reichte jedem der beiden eines. Er half ihnen, sie sich unterhalb der Achseln um die Brust zu binden. Mit diesen zusätzlichen Sicherungsseilen wollte er sie notfalls ins Trockene ziehen.
    Jupiter ahnte, daß die Kraft eines einzelnen Mannes nicht ausreichen würde, einen Menschen aus dem Sog der Strudel zu retten. Deshalb bestand er darauf, daß Coralina als erste kletterte. Sollte sie abstürzen, würden er und Janus sie gemeinsam herausziehen können. Mit ein wenig Glück konnten sie sie mit Hilfe des Seils zu einem Mauervorsprung manövrieren, der tief unter dem Gittersteg auf Höhe des Wasserspiegels verlief. Durch die Gitterstreben erkannte Jupiter, daß das Reservoir dort unten einen zweiten Ausgang hatte.
    Er küßte Coralina und wünschte ihr Glück, dann umfaßte sie den straff gespannten Strick und rutschte über die Kante des Gitterstegs. Ein kräftiger Ruck ging durch das Seil, als sie mit beiden Händen über dem Abgrund baumelte. Jupiters Puls raste, als er beobachtete, wie sie sich langsam vorwärts hangelte.
    Schlagartig überfielen ihn Zweifel. Er

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