Das Haus des Daedalus
verwählte sich und versuchte es fluchend noch einmal. Diesmal ertönte ein Freizeichen. Vermutlich war er eben erst ins Bett gegangen. Er saß immer die Nacht hindurch vor seinen Computern und verschlief den größten Teil des Tages. Fabio war der einzige, der ihr vielleicht glauben würde; und er würde ihr helfen, da war sie ganz sicher.
Nach dem dritten Freizeichen meldete sich der Anrufbeantworter: »Ciao, hier ist Fabio. Ihr denkt jetzt, ich bin zu Hause und hab keine Lust, ranzugehen. Aber diesmal bin ich wirklich weg. Drei Tage Besuch bei Mama, ‘ne Nachricht könnt ihr nicht hinterlassen … schickt mir ‘ne Mail, wenn’s was Wichtiges gibt … Ach ja, und falls du das bist, Coralina, dein Bild ist fertig. Ich hab’s gefiltert, und du hattest recht. Es gibt tatsächlich ein zweites Gesicht in der Fensterscheibe. Ich hab’s dir auf ‘ne CD gebrannt und sie durchs Fenster in dein Kellerloch geworfen … Ciao.«
Starr hielt sie noch einen Augenblick länger den Hörer ans Ohr, lauschte auf das verzerrte Rauschen am anderen Ende, bis schließlich ein Besetztzeichen ertönte. Wie betäubt hängte sie den Hörer ein. Kein Fabio. Niemand, der ihr helfen würde.
Ein zweites Gesicht in der Fensterscheibe.
Sie fragte sich, ob das jetzt noch von Bedeutung war. Jeder der Adepten mochte mit in der Limousine gesessen haben, vielleicht sogar Estacado selbst. Das alles war längst unwichtig geworden.
Doch es blieb die Tatsache, daß sie wahnsinnig werden würde, wenn sie nicht irgend etwas unternahm. Sie brauchte Geld, sie brauchte einen Wagen, und sie mußte herausfinden, was zu Hause vorgefallen war. Vielleicht gab es unter den Nachbarn einen, der etwas beobachtet hatte.
Egal, wie sie die Sache drehte und wendete, sie würde als erstes nach Hause gehen müssen. Sie war sich der Gefahr bewußt, daß die Adepten sie dort erwarten mochten, aber es war das einzige Ziel, das ihr einfiel, das einzige, das im Augenblick einen Sinn für sie ergab.
Benommen trat sie aus der Telefonzelle ins Freie. Ganz allmählich kehrte ein Teil ihrer alten Entschlossenheit zurück. Der Strudel in ihren Gedanken drehte sich langsamer, die Bilder wurden ruhiger, klarer.
Sie würde einen Weg finden, Jupiter zu helfen.
Der herbe, schwere Geruch von Rotwein hing in der Luft.
Jupiter öffnete die Augen und richtete sich auf. Er war schon eine Weile wach, ein paar Minuten, falls sein Zeitgefühl nicht ebenso verrückt spielte wie die meisten seiner anderen Empfindungen. Es dauerte einen weiteren Moment, ehe die Erinnerung an die Ereignisse zurückkehrte und ihm die Ausweglosigkeit seiner Lage klarmachte. Janus erschien vor seinem inneren Auge, und sein Magen zog sich zusammen vor Trauer und Schmerz.
Der Anblick seiner Umgebung hatte in Anbetracht der Situation durchaus etwas Absurdes. Jupiter befand sich in einem Weinkeller. Boden und Decke waren aus dunkelroten Ziegeln gemauert, an den Wänden standen hohe Weinregale. Flaschenhälse wiesen wie Pistolenläufe in seine Richtung, mit Schimmel überzogene Korken und blind gewordenes Glas.
Jupiter kauerte auf dem Boden. Man hatte eine Decke für ihn ausgebreitet, aber sie war dünn, und die kantigen Ränder der Ziegelsteine stachen unangenehm in seinen Körper. Er rappelte sich hoch, taumelnd wie ein Betrunkener.
Ertrunkener wäre wohl passender, dachte er mit Galgenhumor.
In der Mitte des Raumes befand sich ein spartanischer Holztisch. Darauf standen drei entkorkte Weinflaschen, daneben zwei leere Gläser. Staub haftete an den Flaschen und ihren vergilbten Etiketten. Die einzige Lampe des Kellers baumelte an einem schmucklosen Kabel über dem Tisch.
Rotwein.
Der ganze Keller war voller Rotwein! Er konnte es fühlen, schon der Geruch erzeugte ein Kribbeln auf seiner Haut.
Die schwere Bohlentür war geschlossen. Jetzt aber hörte er, wie sich von außen jemand daran zu schaffen machte. Er beeilte sich, zum Tisch zu kommen, um sich aufzustützen. Er wollte nicht, daß sie sahen, wie unsicher er auf den Beinen war. Erst recht widerstrebte es ihm, vor ihnen auf dem Boden zu kauern … auch wenn sich das kaum vermeiden lassen würde, wenn er noch länger den Geruch des Rotweins ertragen mußte.
Am wenigsten aber gefiel ihm der Anblick der drei offenen Flaschen.
Die Tür schwang auf, und zwei Männer traten ein. Der eine war Landini, geisterhaft weiß wie ein Laiendarsteller in einer schlechten Hamlet-Inszenierung. Der zweite Mann war der hünenhafte Chauffeur des Professors. Er nahm die
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