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Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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wurde ein wenig konkreter, dann wieder verschwommen, schließlich fast glasklar, ganz so, als spielte jemand an einem Schärferegler in seinem Kopf. Er erkannte, daß er sich in einem Waschraum befand, verkleidet mit weißen Kacheln. Kein Marmor, nur billige Keramik. Die Privatgemächer des Papstes waren dies gewiß nicht.
    Noch immer fühlte sich seine Haut an, als säße er inmitten eines Ameisenhaufens. Jupiter kratzte und rieb und schabte, aber es wurde nicht besser. Zudem mußte er noch immer achtgeben, nicht zu stark aus-oder einzuatmen; er schätzte, daß seine Luftröhre etwa zur Hälfte offen war, und er kämpfte nach wie vor mit einem Würgereiz. Aber sich jetzt zu übergeben hätte alles nur noch schlimmer gemacht. Keine schöne Vorstellung, am eigenen Erbrochenen zu ersticken.
    Er war nackt. Sein Haar, sein ganzer Körper waren klatschnaß. Neben ihm lag der Schlauch am Boden, mit dem man ihn abgespritzt hatte. Rote Schlieren schwammen um ihn herum, Reste des erbrochenen Weins, aber sie waren zu stark mit Wasser verdünnt, um ihm jetzt noch gefährlich zu werden.
    Landini zerrte ihn auf die Beine. Sein Gesicht verriet den Ekel, den er dabei empfand, und erneut verspürte Jupiter tiefe Genugtuung. Er war viel zu schwach, um dem Albino etwas anzutun, und vorerst mußte er sich mit solch kleinen Siegen zufriedengeben.
    »Wir haben trockene Kleidung für Sie«, sagte Landini, als er ihn aus dem Waschraum in einen menschenleeren Korridor führte.
    Jupiter nahm an, daß sie sich irgendwo in den Kellern des Vatikans befanden. Die Umgebung pulsierte, zog sich zusammen, blähte sich wieder auf, verwischte in Unscharfen und war dann wieder so hart umrissen, daß der Anblick in seinen Augen brannte. Bei jedem unsicheren Schritt, den er mit Landinis Hilfe machte, hatte er Angst, außer Atem zu geraten. Der kurze Weg zu einer der nächsten Türen kam ihm vor wie ein Dauerlauf.
    Der Albino stieß ihn unsanft in einen kleinen Lagerraum, der angefüllt war mit meterhohen Stapeln leerer Papierbögen. Auf einem lag ein Knäuel aus Kleidung -seine Hose, sein Hemd, sein T-Shirt -, alles gereinigt, wenn auch noch klamm von viel zu kurzer Trockenzeit.
    »Wie spät ist es?« fragte Jupiter mit belegter Stimme.
    »Vormittag«, gab Landini knapp zurück. »Sie waren nicht lange bewußtlos. Professor Trojan hat großen Wert darauf gelegt, Ihnen Ihre eigene Kleidung zur Verfügung zu stellen. Er meinte, das sei eine Frage des Anstands.«
    Jupiter zog sich ungelenk an, schwankte dabei und drohte mehrfach umzukippen, behielt sich aber unter Kontrolle. Es ging ihm dabei gar nicht so sehr um Landini … der Albino hatte ihn bereits weit genug erniedrigt, ein Sturz würde es nicht mehr schlimmer machen -, sondern vielmehr um sein eigenes Selbstwertgefühl. Stolz war für ihn immer ein abstrakter, altmodischer Begriff gewesen, aber jetzt begann er zu erfassen, was es bedeutete, wenn einem nichts blieb außer seinen Werten. Alles andere hatte er bereits verloren.
    Er hoffte nur, daß Coralina in Sicherheit war. Nicht einmal dessen konnte er gewiß sein. Kurz spielte er mit dem Gedanken, Landini nach ihr zu fragen, doch dann gönnte er seinem Peiniger nicht den Triumph, ihn möglicherweise mit einer schlechten Nachricht zu konfrontieren.
    Landini beobachtete ihn mit verschränkten Armen. Spott spielte um seine Mundwinkel. Jupiter hatte noch nie jemanden mit solcher Leidenschaft gehaßt wie ihn. Aber Landini wußte genau, daß er im Augenblick viel zu schwach war, um ihn anzugreifen.
    »Fertig?« fragte der Albino, als Jupiter nach mehreren Anläufen endlich seine Schuhe zugeschnürt hatte.
    Jupiter richtete sich benommen auf. Um ihn schien die Luft zu feuchtkalter Watte zu gerinnen, dichte Kissen, die ihm die Luft nahmen, ihn frösteln ließen. »Fertig«, knurrte er mit einem Kopfnicken.
    »Gehen Sie voraus«, kommandierte Landini. »Nach rechts den Gang hinunter.«
    Jupiter tat, was von ihm verlangt wurde. Bei jedem zweiten Schritt mußte er sich an der Wand abstützen, und er war froh, Landinis überhebliches Grinsen nicht sehen zu müssen. Der Albino ging zwei Schritte hinter ihm. Jupiter blickte sich nicht zu ihm um, hörte nur das Scharren seiner Sohlen auf dem Linoleum, viel zu laut, wie einen übersteuerten Toneffekt.
    Sie erreichten einen abgeschalteten Paternoster … wie passend gerade an diesem Ort, dachte Jupiter. Landini dirigierte ihn in den rechten Schacht und legte einen Hebel in der Wand um. Dann stieg er zu Jupiter in

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