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Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Daumennagel.
    Ketten rasselten, Scharniere knirschten. Der Geruch von altem Öl drang an ihre Nase. Ungeduldig sah sie zu, wie die große Plattform aufwärts glitt und am Fuß einer Betonrampe zum Stehen kam. Darauf befand sich der alte Lieferwagen der Shuvani, den sie seit Jahren im Garagenkomplex an der Via del Pellegrino abstellte. Fahrzeuge wurden hier am Eingang abgegeben und von Angestellten in blauen Overalls mit dem Lastenaufzug in die Tiefe gebracht.
    Der Motor des Lieferwagens wurde gestartet. Das Geräusch hallte verzerrt in den unterirdischen Betonhallen wider. Ein junger Mann lenkte den Wagen zu ihr und händigte ihr die Schlüssel aus.
    Coralina gab ihm ein Trinkgeld, setzte sich hinters Steuer und fuhr los. Im Rückspiegel sah sie, daß der Junge ihr stirnrunzelnd nachblickte. Offenbar verbarg sie ihre Nervosität nicht halb so gut, wie sie gehofft hatte.
    An der nächsten Kreuzung zog sie Merendas Bücherliste und die CD-Rom aus der Tasche und legte beides auf den Beifahrersitz, neben einen Stapel Bücher, der dort seit ein paar Wochen lag. Er war Teil einer Lieferung, die der Auftraggeber nicht hatte bezahlen können. Seither hatte sich der Mann nicht mehr gemeldet, und die Bücher verstaubten halbvergessen im Auto.
    Coralina hatte einen Plan. Aber es gab etwas, das sie vorher erledigen wollte. Sie fand eine Sonnenbrille im Handschuhfach und setzte sie auf. Ein paar Mal schaute sie in den Rückspiegel, suchte nach Fahrzeugen, die ihr folgten. Aber sie sah keine.
    Gut, dachte sie. Keine Verfolger.
    Du mußt nur daran glauben. Dann schaffst du es schon.
    Ja, sicher. Natürlich. Warum auch nicht?
    Mit quietschenden Reifen bog sie in die Via Catalana.

KAPITEL 11
    Deine Lügen
    Der Raum war klein und dunkel. Jupiter bezweifelte, daß er jemals zu etwas anderem gedient hatte, als Menschen darin einzusperren. Erst Ketzer. Häretiker. Und nun ihn.
    Er versuchte sich auf derlei Dinge zu konzentrieren. Unbedeutende Dinge. Auf alles, das ihn irgendwie ablenkte.
    Er konnte es bereits spüren. Immer stärker, immer drängender. Die Atemnot. Den Juckreiz.
    Du wirst hier drinnen jämmerlich verrecken!
    Es gab kein Fenster. Jupiter hockte mit angezogenen Knien auf einer groben Decke und starrte wie ein gefangenes Tier zur Tür. Er spürte, wie sein Körper sich aufbäumte. Er brauchte die Spritze so schnell wie möglich. Brauchte sie jetzt!
    Er bekam nur noch mühsam Luft, hörte sein eigenes Keuchen und Japsen von den nackten Wänden widerhallen. Es war ein Gefühl, als lägen unsichtbare Hände um seine Kehle, die mit jeder Minute ein wenig fester zudrückten. Dazu kam das entsetzliche Jucken. Seine Arme waren aufgekratzt und blutig, seine Fußknöchel mit dunklem Schorf überzogen. Nicht mehr lange … das wußte er mit Sicherheit … und er würde sich die Kleider vom Leib reißen, um sich auch am Bauch, am Rücken und an den Oberschenkeln kratzen zu können. Dann würde er nur noch hoffen können, endlich zu ersticken, endlich zu sterben, damit der Juckreiz ein Ende hatte.
    Aber soweit würde es nicht kommen. Vorher würde er ihnen alles verraten, ob er wollte oder nicht. Noch hatte er sich unter Kontrolle, konnte sich beherrschen. Aber wie lange noch?
    Irgendwann begann er Bilder zu sehen, Szenen aus Trojans Erzählung.
    Er sah einen Mann - (Piranesi?) - der durch ein Portal trat und in einem schwarzen Abgrund verschwand.
    Er sah einen zweiten Mann - (Daedalus?) - der von einem Podest ein endloses Labyrinth aus Stein überschaute, die Arme triumphierend auseinanderriß und das Lachen eines Wahnsinnigen ausstieß.
    Er sah eine geflügelte Silhouette am Himmel … ein flirrender Umriß im Gegenlicht einer blendenden Sonne -, sah die Silhouette kleiner und kleiner werden, ehe das weiße Licht sie gänzlich umschloß und auslöschte.
    Er sah einen Huf, schmutzig und verhornt, der in einem Berg aus menschlichen Knochen scharrte.
    Sah Mauern um sich emporschießen, sah sich selbst immer winziger werden, während sich die Wände verzweigten, auseinanderflossen, neu formierten.
    Sah wieder eine Tür, hörte dahinter das Schnauben und Brüllen des Stiers, hörte es näher kommen, immer näher, sah, wie die Tür erzitterte, nachgab, geöffnet wurde. Sah Licht in seine Zelle fließen, und eine Gestalt, die sich über ihn beugte und seinen Namen flüsterte und sagte, er solle aufwachen.
    Aber er schlief nicht, seine Augen waren weit aufgerissen, er versuchte zu atmen, die Ameisen auf seiner Haut abzustreifen; doch es

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