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Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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behauptet hatte, sich noch nie in seinem Leben verfahren zu haben. Er erinnerte sich auch an das Bücherlager unter der Vaticana, das sich zu verändern und zu verschieben schien, während er nach einem Ausgang suchte.
    Und er erinnerte sich an das Trampeln wilder Hufe, das er in der Ferne gehört hatte, und an Santinos wirres Gerede von einem Stier, der ihn verfolgte.
    »Gab es noch etwas … Ungewöhnliches, das Piranesi beschrieben hat?« fragte er vorsichtig. »Irgend etwas anderes, das ihm aufgefallen ist?«
    Ein Leuchten trat in Trojans Augen. »Sie haben es auch bemerkt! Das ist es, oder? Sie haben sich in der Stadt verirrt, wie zahllose andere Menschen auch in den letzten Tagen. Und Sie haben etwas gehört!«
    Jupiter zögerte, dann nickte er langsam. »Aber was war es?«
    Begeisterung flackerte im Blick des Professors, er sprach schneller, aufgeregter. »Piranesi hatte kein Wort dafür, obwohl er selbst es gewesen war, der auf den alten Mythos stieß. Den Mythos vom Baumeister Daedalus, der hier, an dieser Stelle das größte aller Bauwerke schuf.«
    »Sie glauben, daß die Legende wahr ist? Daß tatsächlich Daedalus selbst die Carceri erbauen ließ?«
    »Manches spricht dafür. Die Labyrinthisierung. Das Trampeln und Brüllen des Stiers, das manche von uns gehört haben … oder des Minotaurus, wenn wir es denn endlich einmal aussprechen wollen. Daran haben Sie doch gewiß auch schon gedacht, oder?«
    Jupiter antwortete nicht, und so fuhr der Professor fort: »Ich will Ihnen sagen, was ich glaube, wovon ich überzeugt bin!«
    Er räusperte sich, hustete und wischte sich achtlos mit dem Handrücken einen weiteren Blutstropfen von der Oberlippe. »Daedalus wurde in Sizilien an Land gespült, so wie es uns die Sage erzählt. Er wanderte nach Norden, kam hierher und begab sich in die Dienste der Bewohner Latiums. Nach seinen Plänen wurde die größte Tempelanlage aller Zeiten erbaut.«
    »Ist das technisch überhaupt möglich?«, unterbrach ihn Jupiter.
    »Nein«, entgegnete Trojan ehrlich. »Das ist es nicht. Nicht, wenn wir Piranesis Stichen Glauben schenken dürfen. Aber wissen wir denn überhaupt, ob Piranesi weit genug vorgedrungen ist, ob er wirklich alles gesehen hat? Mag sein, daß seine Phantasie mit ihm durchgegangen ist. Oder es könnte sein, daß er gelogen hat. Aber, vielleicht, nur vielleicht, ist es auch die Wahrheit. Und warum auch nicht? Daedalus war der Sage nach viel mehr als nur ein Baumeister, wie ich oder andere es sind. Schon das Labyrinth auf Kreta war phantastischer als alles, was die Menschheit bis dahin zustande gebracht hatte. Und denken Sie nur an die Flügel, die er gebaut haben soll!«
    Jupiter runzelte die Stirn. »Sie sprechen von Magie?«
    »Müssen wir das denn nicht in Erwägung ziehen?« fragte Trojan ernsthaft. »Denken Sie an die Labyrinthisierung, die Sie selbst erlebt haben. Denken Sie an die Laute, die Sie gehört haben. Das sind keine Dinge, die sich rational erklären lassen.« Er senkte seine Stimme zu einem Flüstern. »Wir sind schon viel weiter, Jupiter. Wir haben die Schwelle überschritten.«
    Jupiter atmete tief durch. »Zauberei, also.«
    Trojan lächelte. »Das sollte Ihnen keine Angst machen. Magie hat es in der Architektur schon immer gegeben. Piranesi und die ersten Adepten haben das gewußt, als sie die antiken Ruinen untersuchten. Was, zum Beispiel, ist mit den Kuppeln der Kathedralen? Mit ihren Türmen und Pfeilern, die wie von selbst halten? Wissen Sie, daß heutzutage kaum noch jemand in der Lage wäre, einen gotischen Dom zu errichten? Oder eine der großen Pyramiden? Nicht, ohne die modernsten Hilfsmittel der Technik, ohne Computer und Maschinen und Formen der Berechnung, von denen man annahm, sie seien erst in den letzten Jahrhunderten entwickelt worden. Aber all das ist vor langer, langer Zeit erschaffen worden! Von Männern wie Daedalus! Mit Hilfe eines Wissens, das wir heute in unserer Hilflosigkeit Magie nennen, das wir als Kinderei und Unsinn abtun. Aber die Werke dieser Baumeister existieren. Sie sind der Beweis … nur, daß die meisten von uns sich immer noch weigern, ihn zu akzeptieren. Sie schließen die Augen vor der Wahrheit!« Sein Blick war so eindringlich geworden, daß es Jupiter immer schwererfiel, ihm standzuhalten. »Machen Sie nicht den gleichen Fehler wie all die anderen! Glauben Sie mir, Daedalus hat diese unterirdische Anlage errichtet, und im Grunde ist es ganz egal, wie er es geschafft hat. Aber er hat noch viel mehr

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