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Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Fragen zu stellen.
    Er folgte ihr entlang einer Baumreihe, dann durch ein Gebüsch. Einmal sah er in der Nähe eine Gruppe schwarzgekleideter Priester, vertieft in ein Gespräch. Dann wieder schienen die Gärten völlig verlassen zu sein.
    Miwa führte ihn weiträumig um Gebäude, Wegkreuzungen und kleine Plätze, immer verborgen hinter Büschen und Sträuchern. Hinter einigen Azaleen begegneten sie einem der Gärtner, doch der Mann schien sie nicht zur Kenntnis zu nehmen.
    Schließlich erreichten sie die hohe Ziegelmauer, die im Osten die Gärten teilte. Einst hatte sie zur Befestigungsanlage gehört, damals, als der Vatikan noch außerhalb der Stadtgrenzen Roms lag. Nur noch zwei der alten Türme und ein Teil des Mauerwerks waren erhalten. Auf dem einen Turm, ein paar hundert Meter weiter nördlich, erhob sich die Sendeantenne von Radio Vatikan.
    Miwa führte Jupiter nach Süden, in die Richtung des zweiten Turms. Der Torrione de San Giovanni wirkte verlassen, keine Wächter hüteten das Tor. Über dem Eingang waren seine beiden Namensgeber dargestellt, Johannes der Täufer und Johannes der Evangelist. Miwa zog einen Schlüsselbund aus der Tasche, schaute sich noch einmal hastig um, dann öffnete sie das Tor und schob Jupiter hinein. Sie schlüpfte hinter ihm durch den Spalt, drückte den Flügel wieder zu und schloß ab. Der Schlüsselbund verschwand in ihrer Jacke.
    »Wo hast du den her?« fragte Jupiter.
    Miwa lief voraus. »Gestohlen, aus Trojans Büro«, entgegnete sie knapp. »Genau wie die Spritze.«
    Er folgte ihr eine Treppe hinauf bis in einen Raum, dessen schmales Fenster nach Osten wies. Hinter einer Handvoll Bäume war der Hubschrauberlandeplatz des Vatikans zu erkennen, dahinter die Ummauerung und, jenseits davon, die hellbraunen Fassaden der Stadt. Auf Jupiter wirkten sie wie das verlockende Panorama einer anderen Welt. Coralina war irgendwo dort draußen. Vorausgesetzt, sie war tatsächlich entkommen.
    Die Erinnerung an Coralina verblaßte, als Miwa ihn an sich zog und küßte. Sie preßte ihre Lippen auf seine, als sei dies etwas, das sie viel zu lange vermißt hatte. Jupiter ließ es geschehen, ertappte sich sogar dabei, wie sehr er es genoß. Zugleich aber bemühte er sich, eine Distanz aufrechtzuerhalten, die er mehr und mehr dahinschwinden sah.
    Sie hatte ihn verlassen; sie hatte ihn bestohlen; sie hatte ihn ruiniert und seine Karriere beendet. Sie hatte alles getan, um ihn fertigzumachen … und all das ohne jede Erklärung, ohne eine einzige Begegnung oder auch nur einen Anruf. Wie eine Spinne hatte sie von außen einen Kokon um ihn gewoben, ihn festgezurrt und von der Außenwelt abgeschnitten, und wenn Jupiter ehrlich zu sich war, hatte er nur noch auf den Augenblick gewartet, in dem sie endlich ihre Hauer in ihn schlug und seiner Lethargie ein Ende machte.
    Aber dann hatte ihn die Shuvani angerufen. Er war nach Rom gefahren, hatte eine neue Aufgabe gefunden. Ein Ziel. Und er hatte Coralina wiedergesehen, Coralina, die mit fünfzehn so verletzlich ausgesehen hatte in ihrem Batikhemdchen, und die heute eine Frau war.
    Er löste sich von Miwa. »Nicht«, flüsterte er.
    »Ich hab dich vermißt.«
    Er wich ihrem Blick aus und trat wieder ans Fenster. »Was soll das alles?« Im Grunde war er nicht einmal wirklich neugierig, nur verwirrt. Die Dinge waren ihm längst über den Kopf gewachsen. Als Miwa nicht gleich antwortete, drehte er sich zu ihr um, beide Hände aufs Fensterbrett gestützt, und fixierte sie so gut er konnte. Es war, als schwimme ihr Gesicht wie eine Blüte auf der Oberfläche eines schwarzen Tümpels. »Was tust du hier?«
    »Dich retten«, sagte sie leise. Eine zarte Röte überzog ihre Wangen, so als schäme sie sich für dieses Eingeständnis. »Ich habe heute morgen erst erfahren, was passiert ist. … Gott, Jupiter … die hätten dich fast umgebracht.«
    »Da wären sie nicht die ersten.«
    Sie hob eine Augenbraue, als hätte sie soviel Sarkasmus nicht von ihm erwartet. »Du bist noch wütend auf mich. Natürlich. Einiges könnte ich dir erklären, wenn genug Zeit dazu wäre, aber anderes …«
    Sie zögerte, fuhr dann fort: »Ich habe Fehler gemacht. Das weiß ich.«
    »Fehler?« Er lachte bitter und fuchtelte unbeholfen mit der Hand in die Richtung der Pistole unter ihrem Jackensaum. »Du hättest mich damals gleich erschießen sollen, das hätte alles sehr viel einfacher gemacht.«
    Miwa verzog die Mundwinkel. »Sei nicht so pathetisch, das paßt nicht zu dir.

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