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Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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nahm den Fuß von der Kupplung und ließ den Wagen viel zu schnell rückwärts aus der Parklücke schießen. Der Lieferwagen war höher als die meisten Autos auf dem Parkplatz. Vermutlich hatte Landini bereits bemerkt, daß er sich in Bewegung gesetzt hatte.
    Coralina gab Gas. Mit aufheulendem Motor raste sie Richtung Ausfahrt.
    »Kannst du sie sehen?« fragte sie.
    »Nein … das heißt, doch! Jetzt sehe ich sie. Sie sind immer noch in der Parallelspur, ungefähr hundert Meter hinter uns. Sie werden schneller.«
    »Großartig.«
    »Vielleicht hätten wir den Bus in die Stadt nehmen sollen.«
    »Lieber nicht.« Sie trat das Gaspedal bis zum Anschlag durch. »Ich fühle mich sicherer, wenn ich das Steuer selbst in der Hand hab.«
    Ja, dachte Jupiter beunruhigt, das merkt man.
    Der Lieferwagen schoß in waghalsigem Tempo zwischen den geparkten Autoreihen hindurch. Falls jetzt jemand unerwartet zurücksetzte, war die Flucht beendet -Coralina hatte gar keine Chance, rechtzeitig abzubremsen.
    Er zerrte den Gurt um seinen Oberkörper, während er gleichzeitig den Blick nicht von der Fahrbahn nahm. Instinktiv traten seine Füße imaginäre Kupplungs-und Bremspedale, während Coralina den Motor abermals aufheulen ließ, als sie zu spät in den vierten Gang schaltete. Durch Jupiters eingeschlagenes Fenster heulte der Fahrtwind.
    Er blickte über die Schulter, konnte aber durch die schmale Heckscheibe des Lieferwagens nicht sehen, wo sich der BMW befand.
    Coralina versuchte zu erkennen, ob irgendwo Menschen zwischen den Wagenreihen waren, die unvermittelt auf die Fahrbahn treten konnten; zwischendurch warf sie immer wieder Blicke in ihren Seitenspiegel.
    »Wo sind die jetzt?« Es paßte Jupiter überhaupt nicht, daß er von der Beifahrerseite aus nichts sehen konnte.
    »Sie verfolgen uns.«
    »Ja«, gab er unwirsch zurück, »das dachte ich mir.«
    »Machen Frauen am Steuer dich etwa nervös?«
    »Jeder macht mich nervös, von dessen Fahrkünsten mein Leben abhängt.«
    »Heißt das nun, daß ich schneller oder langsamer fahren soll?«
    »Fahr einfach … vorsichtig«, erwiderte er zerknirscht. Seine rechte Hand klammerte sich um den Türgriff, seine linke fuhr nervös über die Sitzkante.
    »Keine Angst«, sagte sie. »Ich hab an die fünfzig Stunden Risikotraining hinter mir. Ich hatte mal einen Freund, in Florenz … war so ‘ne Art Autofreak. Er hat mich immer zu diesen Trainingsgruppen geschleppt.«
    Jupiter verzog das Gesicht. »Und wieder einmal lernen wir, daß sich alles im Leben auszahlt, nicht wahr?«
    »Sei nicht so sarkastisch. Ich bin …«
    Coralinas Seitenspiegel zerplatzte in einer Kaskade aus Silbersplittern. Der peitschende Laut schnitt ihr das Wort ab. Irgend etwas krachte von außen gegen ihre Scheibe, so hart, daß sich ein Riß durch das Glas fraß.
    Sie fluchte lautstark und wollte sich vorbeugen, um durch die Scheibe zurückzublicken, aber Jupiter streckte blitzschnell den Arm aus und preßte sie zurück in den Sitz.
    »Nicht!« herrschte er sie an.
    »War das gerade …«
    »Ja. Die schießen auf uns.«
    Wie zur Bestätigung krachte es ein zweites Mal. Alarmiert blickte Jupiter über die Schulter in den Laderaum. Der hintere Teil des Wagens hatte, von der kleinen Heckscheibe abgesehen, keine Fenster. Jetzt aber stach ein heller Finger aus Tageslicht durch ein murmelgroßes Loch in der Seitentür.
    »Da vorne ist die Ausfahrt«, preßte Coralina zwischen den Zähnen hervor. »Halt dich fest!«
    Sie ließ Jupiter kaum Zeit, ihrer Anweisung nachzukommen, denn schon trat sie auf die Bremse, riß das Steuer herum und bog mit schlitternden Reifen nach rechts. Das Heck des Lieferwagens scherte aus und streifte die Leitplanke, die den Parkplatz begrenzte.
    Vor ihnen erschien die Ausfahrt. Sie war durch eine gelbe Holzschranke versperrt.
    »Du hast nicht zufällig das Ticket bezahlt, oder?«
    Ehe er antworten konnte, brach der Wagen bereits durch die Schranke. Bruchstücke aus Holz schrammten rechts und links an den Türen entlang.
    »Das wollte ich schon immer mal tun«, preßte Coralina hervor.
    »Ich hab mich gefragt, wie stabil diese Dinger wirklich sind.«
    Jupiter schluckte, als sie ohne abzubremsen auf die Auffahrt zur Autobahn rasten. Die Kurve gab ihm die Möglichkeit, in seinem eigenen Seitenspiegel einen Blick zurückzuwerfen. Zu seinem Schrecken sah er, daß der BMW wie ein silbernes Geschoß über die Reste der Schranke hinwegpreschte. Doch gerade als sich in Jupiter die Überzeugung festsetzte,

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