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Das Haus des Daedalus

Titel: Das Haus des Daedalus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Schlüssel aus der Hosentasche. »Ich oder du?«
    »Wir könnten Münzen werfen … wenn wir noch welche hätten.«
    Sie lächelte schief, dann trat sie ans Tor und schob den Schlüssel in die Öffnung. Er glitt problemlos hinein, ehe er schließlich auf einen Widerstand stieß.
    »Und jetzt?« fragte sie. »Nach rechts oder links?«
    Jupiter wollte gerade antworten, als ihnen die Entscheidung abgenommen wurde. Ein leises Rasseln ertönte jenseits des Tors, dann ein Rauschen, wie von Luft, die in ein Vakuum strömt.
    »Weder noch«, flüsterte Jupiter, als ein heftiger Ruck durch die Steinplatte ging, so als würde in ihrem Inneren eine Verankerung gelöst. Die beiden sprangen erschrocken einen Schritt zurück, doch nichts weiter geschah.
    Jupiter trat erneut vor und legte beide Hände an das Tor. Vorsichtig preßte er dagegen, erst ganz sachte, dann ein wenig kräftiger. Die Steinplatte bewegte sich, schwang langsam von ihm fort. Auf der linken Seite wurde sie von unsichtbaren Scharnieren gehalten, auf der rechten entstand ein schwarzer Spalt, der rasch größer wurde.
    Er leuchtete mit dem Strahler in die Finsternis auf der anderen Seite. Er sah Stufen. Die Stufen einer gewaltigen Wendeltreppe.
    »Also?« fragte Coralina, trat aber schon an ihm vorbei und durch das Tor. »Gehen wir.«
    Seite an Seite betraten sie das Haus des Daedalus.
    Monumentale Größe.
    Monumentale Dunkelheit.
    Sie waren noch keine Stunde unterwegs, als sie zu ahnen begannen, wie groß die Treppe tatsächlich war.
    Nur ein steinernes Geländer trennte sie von dem schwarzen Nichts des Abgrunds. Wenn sie darüber hinwegschauten, konnten sie erkennen, daß die Wendeltreppe wie das Gewinde einer riesigen Schraube in die Tiefe führte. Der Strahler reichte etwa zwanzig Meter weit, dann verlor sich alles in Dunkelheit. Zu Anfang hatten sie noch die Decke dieses titanischen unterirdischen Hohlraums erkennen können, doch bald lag auch sie außerhalb der Reichweite des Lichtstrahls.
    Es war empfindlich kühl geworden. Immer wieder wehte eisige Luft aus dem Abgrund empor, biss sich durch ihre Kleidung und ließ sie frösteln.
    Sie hatten bald aufgehört, über die physikalische Unmöglichkeit dieser Anlage zu diskutieren. Schon nach einer halben Stunde war ihr Gespräch an einem Punkt angelangt, an dem es nicht mehr wirklich um Dinge wie Schwerkraft oder Stabilität ging. Sie akzeptierten, was das Haus des Daedalus wirklich war … ein Ort, geschaffen mit Mitteln, die längst in Vergessenheit geraten waren, zu dem alleinigen Zweck, den antiken Göttern zu huldigen, ihnen zu gefallen, sich mit ihnen auf eine Stufe zu stellen. Coralina verglich es mit dem Turm zu Babel … mit dem Unterschied, daß der Turm hier nach unten statt nach oben wuchs.
    Sie blieb stehen. »Hast du das gehört?«
    Jupiter verharrte. »Was?«
    »Klang wie ein … Scharren?« Sie sah ihn mit großen Augen an.
    Er horchte angespannt, schüttelte dann den Kopf. »Was meinst du? Sollen wir umkehren?«
    Sie legte den Zeigefinger an ihre Lippen. Die atemberaubende Schwärze schien von allen Seiten ein wenig näherzurücken, so als wollte sie die beiden Menschen, die sich ihr so wagemutig ausgeliefert hatten, in sich aufsaugen.
    »Ich höre nichts«, murmelte Jupiter nach einem Moment.
    Coralina nickte langsam. »Jetzt ist es weg. Wie lange halten die Batterien noch?«
    »Woher soll ich das wissen?«
    »Schätzungsweise?«
    »Vielleicht eine Stunde. Vielleicht zwei.«
    Coralina seufzte. »Eine brauchen wir von hier aus für den Rückweg. Mindestens.«
    »Wenn wir jetzt umkehren, hätten wir ebensogut am Flughafen die nächste Maschine nehmen können«, sagte Jupiter leise.
    »Du willst tatsächlich wissen, wohin die Treppe führt?«
    Er wich ihrem Blick aus. »Ich will es wissen, aber ich will nicht dorthin gehen.« »Das heißt dann wohl, daß wir umdrehen.«
    »Was bleibt uns denn übrig? Wir haben keine Ausrüstung, keine Verpflegung.«
    Das Scharren wiederholte sich … jetzt hörte es auch Jupiter.
    Erschrocken starrten sich die beiden an. »Das kommt von unten«, flüsterte Coralina. Nach kurzem Zögern setzte sie den Abstieg fort.
    »Los, komm.«
    »Hältst du das wirklich für eine gute Idee?«
    »Nein.«
    Er seufzte tonlos und folgte ihr. Diesmal ließ er den Strahl nicht mehr so achtlos umherwirbeln wie zuvor, sondern hielt ihn in schrägem Winkel nach unten, leuchtete so, daß sie die Stufen vor sich im Blick hatten.
    »Großer Gott!« Coralina blieb stehen.
    Jupiter sah, was

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